Die Waldensergemeinden in Württemberg
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Von: Lange, Albert de
Inhaltsverzeichnis
- Waldenserkolonien, gegründet 1699: 1. Großvillars (heute Ortsteil von Oberderdingen) mit Filiale Kleinvillars (heute Ortsteil von Knittlingen); 2. Pinache mit Filiale Serres (heute Ortsteile von Wiernsheim); 3. Perouse (heute Ortsteil von Rutesheim)
- Hugenottensiedlungen von 1699: 1. Dürrmenz-Welschdorf (heute Ortsteil von Mühlacker) mit den neu gegründetenen Filialen Schönenberg, Sengach und Corres (heute Ortsteile von Ötisheim); 2. Wurmberg-Lucerne (heute Wurmberg)
- Waldenserkolonien, gegründet 1700: 1. Neuhengstett (heute Ortsteil von Althengstett); 2. Nordhausen (heute Ortsteil von Nordheim)
- Waldenserkolonien, gegründet 1701: 1. Palmbach (heute Ortsteil von Karlsruhe) mit Filiale Untermutschelbach (heute Ortsteil von Karlsbad)
- Besonderheit: von 1699 bis 1823 französischsprachige reformierte Minderheit in Württemberg
Im Mai 1699 kamen mehr als 1500 Waldenser und Hugenotten in Dürrmenz bei Mühlacker an. Sie sollten, auch wenn die Aufnahmebedingungen noch nicht ganz geklärt waren, vor allem in das Oberamt Maulbronn angesiedelt werden. Zum Verständnis der historischen Vorgänge sollen zunächst die Unterschiede zwischen Waldensern und Hugenotten erläutert werden.
1: Hugenotten und Waldenser
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„Lux lucet in tenebris“ (Das Licht scheint in die Finsternis). Das „sehr alte Wappen der Täler“ belegt den Anspruch der Waldenser, dass sie schon lange vor der Reformation „evangelisch“ gewesen seien.
Mit „Hugenotten“ sind die Mitglieder der reformierten Kirche in Frankreich gemeint. Diese Kirche wurde 1559 gegründet und war von dem Genfer Reformator Johannes Calvin geprägt. Die Hugenotten durften ihre Religion seit 1598 auf Grund des Ediktes von Nantes öffentlich ausüben. Als König Ludwig XIV. im Jahr 1685 dieses Edikt aufhob, flohen mehr als 100.000 Hugenotten illegal aus ihrer Heimat. Ungefähr 400 Hugenotten, die zuvor im Piemont gelebt hatten, kamen 1699 zusammen mit den Waldensern nach Württemberg.
Mit „Waldenser“ sind die Mitglieder einer Bewegung gemeint, die auf Waldes (besser bekannt als Petrus Waldus) zurückgeführt wird, der seit 1173 als Laienwanderprediger auftrat. Er und seine Anhänger wurden 1184 als Ketzer verurteilt. In Spätmittelalter wurden die Waldenser in die Cottischen Alpen verdrängt. Hier gründeten sie zwischen 1555-1564 eine eigene reformierte Kirche calvinistischer Prägung. 1561 bekamen die Waldenser im Piemont das Recht auf öffentliche Ausübung ihrer Religion innerhalb der Tälern. Wegen ihrer langen Tradition betrachtete sich die Waldenser sich als „Mutter der Reformation“. 1698 wurden 3.000 Waldenser aus dem Piemont vertrieben. Die meisten von ihnen fanden zwischen 1699-1701 Aufnahme in Württemberg.
2: Herkunft der württembergischen Waldenser
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Die Waldensertäler im 17. Jahrhundert. Die Grenze zwischen Frankreich und Savoyen-Piemont bis 1713 und die heutige Grenze (schwarz). Das 1630-1696 französisch besetzte linke Ufer des Chisonetales ist rot gefärbt.
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Alle Waldenser, die 1699-1701 nach Württemberg kamen, stammten aus dem Chisonetal. Dieses Tal liegt im Piemont auf der italienischen Seite der Cottischen Alpen. Politisch war es allerdings jahrhundertelang zweigeteilt.
Die obere Talhälfte (auch bekannt als Pragelatal) kam erst 1713 zum Piemont. Vorher war sie Teil die Dauphiné, die 1354 von Frankreich gekauft worden war. Die untere Talhälfte dagegen war schon im Hochmittelalter Teil des Piemonts, das seit dem 11. Jahrhundert von den Grafen, später Herzögen von Savoyen regiert wurde. 1630 eroberte Frankreich das linke Ufer der unteren Talhälfte und hielt es bis 1696 in Besitz.
Das Chisonetal bildete, zusammen mit dem Sankt Martinstal (heute Germanascatal) und das Lusernatal (heute Pellicetal), die „Waldensertäler“. Zwischen 1555-1598 gehörten die sechs reformierten Kirchengemeindender in der oberen Talhälfte (Pragelato, Usseaux, Fenestrelle, Mentoulles, Roure und Meano) zur Waldenserkirche im Piemont. 1598 mussten sie diese unter Druck des Herzogs von Savoyen verlassen und schlossen sich nun der französisch-reformierten Kirchenprovinz Dauphiné an. Das linke Ufer der unteren Talhälfte, wo sich drei großen Waldensergemeinden (Villar, Pinache und Perouse) befanden, blieb auch während der französisch Besetzung Teil der Waldenserkirche im Piemont.
3: Die Vorgeschichte 1685-1698
Die Aufhebung des Ediktes von Nantes im Jahre 1685 betraf sowohl das obere Chisonetal, wie das von Frankreich besetzte untere Tal. Viele Waldenser flohen, andere bekehrten sich zum Schein. Im Jahre 1686 wurde auch die Waldenserkirche im Piemont verboten. 1687 ließ der Herzog von Savoyen beinahe 3000 Waldenser, die sich weigerten katholisch zu werden, nach Genf deportieren. Allerdings dauerte ihr Exil nicht lang. Schon 1689 kehrten 1000 Waldenser und Hugenotten bewaffnet in das Piemont zurück und begannen einen Guerillakrieg. Der Herzog von Savoyen gewährte 1690 unter englischem und niederländischem Druck den Waldensern wieder Religionsfreiheit.
Viele Waldenser aus dem Chisonetal, die nach 1685 geflohen waren, zogen nun in die piemontesischen Waldensertäler, bald gefolgt von denen, die zum Schein konvertiert waren. Auch Hugenotten aus der Dauphiné zogen zu.
Lange dauerte die Gastfreundschaft nicht. Der Herzog von Savoyen ordnete am 1. Juli 1698 an, dass alle Waldenser, die als französische Untertanen geboren waren, das Piemont verlassen mussten. Davon waren auch die Waldenser des unteren Chisonetales betroffen, obwohl Frankreich es ihm 1696 zurückgegeben hat. Auch die Hugenotten mussten gehen. Allein die Waldenser, die im Pellicetal, im Germanascatal oder am rechten Ufer des unteren Chisonetals geboren waren, durften bleiben; sie hielten hier die Waldenserkirche bis zum heutigen Tag am Leben. In September 1698 wurden 2300 Waldenser und Hugenotten in sieben „Brigaden“ nach Genf deportiert und verbrachten den Winter in der Schweiz.
4: Die Ansiedlung 1699-1701
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Pieter Valkenier, der niederländische Sondergesandte für die Ansiedlung der Waldenser in Deutschland.
Deutsche Waldenservereinigung
Dank der diplomatischer Unterstützung des niederländischen Sondergesandten Pieter Valkenier zeigten sich 1699 mehrere Fürsten in Südhessen und Herzog Eberhard Ludwig von Herzogtum Württemberg bereit, die Vertriebenen aufzunehmen. Die Ansiedlung der Waldenser erfolgte auf der Grundlage sogenannter „Privilegien“. Darin legten die Landesherren die Aufnahmebedingungen fest. Sie ermöglichten es den Waldensern „Kolonien“ zu errichten, also eigene Gemeinwesen mit korporativen Sonderrechten. In Württemberg gewährte Eberhard Ludwig in seinen Privilegien vom 4. September 1699 trotz des Widerstandes der lutherischen Theologen und Juristen den Waldensern das Recht auf freie und öffentliche Ausübung der reformierten Religion. Damit durchbrach er zum ersten Mal die lutherische Homogenität von Württemberg.
Die Waldenser aus dem oberen Chisonetal wurden für Südhessen bestimmt, die Waldenser aus dem unteren Tal für Württemberg, wo sie 1699 die Kolonien Großvillars (mit Kleinvillars), Perouse und Pinache (mit Serres) gründeten, die sie nach ihren Herkunftsorten benannten. Die 400 Hugenotten, die mit den Waldensern nach Württemberg gelangten – wie der Pfarrer Henri Arnaud aus Embrun im Dauphiné – kamen 1699 in Dürrmenz (undin ihren etwas später gegründeten Filialen), bzw. in Wurmberg unter.
1700 und 1701 wanderten viele Waldenser aus Hessen weiter nach Württemberg, weil sie dort bessere Bedingungen vorfanden, und gründeten die Kolonien Nordhausen, Neuhengstett und Palmbach (mit Untermutschelbach). So entstanden sechs Waldenserkolonien in Württemberg, welche sich durch ihre planmäßige, „barocke“ Anlage von den mittelalterlich angelegten Nachbardörfern unterscheiden.
5: Im 18. Jahrhundert
Die Waldenser wurden in Württemberg als „Welsche“ bezeichnet, weil sie in Schule und Kirche französisch, im alltäglichen Leben okzitanisch sprachen. Sie blieben zunächst eine isolierte Minderheit, die in bitterer Armut lebte und kaum im Stande war ihre Kinder auszubilden, wie Pfarrer Andreas Keller von Neuhengstett in seiner Geschichte der Waldenser (1796) zeigt. Die Waldenser hinterließen deshalb kaum Spuren in der damaligen württembergische Gesellschaft. Ihre Versuche, die Seidenkultur in Württemberg neu aufzubauen, blieben ohne Erfolg. Nur zur Verbreitung der Kartoffel könnten sie beigetragen haben.
6: Eingliederung in die württembergische Landeskirche 1823
Im neuen Königreich Württemberg verloren die waldensischen Kolonien ihre Sonderrechte. Davon war 1823 schließlich auch ihr Recht auf die öffentliche Ausübung der reformierten Religion betroffen. Auf Wunsch des Königs wurden 1823 alle Waldensergemeinden in Württemberg in die lutherische Kirche integriert. Die Verwendung der französischen Sprache in Schule und Kirche wurde trotz ihres Widerstandes verboten. Jean Henri Perrot (1798-1853), der in Neuhengstett unterrichtete, könnte man als den letzten waldensischen Schulmeister“ der Waldenser in Württemberg betrachten.
7: Waldensische Identität 19.-21. Jahrhundert
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Das Henri-Arnaud-Haus, Sitz der Deutschen Waldenservereinigung. Es enthält ein Museum, ein Archiv und eine Bibliothek zur Geschichte und Gegenwart der Waldenser.
Deutsche Waldenservereinigung
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Waldenser in Württemberg assimiliert. Bald sprachen sie kaum mehr französisch oder okzitanisch und ihre Kirchenräume wurden allmählich lutherisch umgestaltet. Trotzdem nahmen sie 1899-1901 in großer Zahl an den Veranstaltung anlässlich der Zweihundertjahrfeier ihrer Ansiedlung teil. Es zeigte sich eine Neubelebung ihrer „waldensischen“ Identität. Triebfeder waren die Erinnerung an den Glaubensmut der Vorfahren und die Pflege der Beziehungen zu den Waldensertälern im Piemont.
Seit 1899 blieben die Waldenser in Württemberg traditionsbewusst. 1936 kam es zur Gründung der Deutschen Waldenservereinigung, die das Haus des Pfarrers Henri Arnaud in Schönenberg als Sitz erwarb. Diese Neubelebung der „waldensischen“ Identität war zunächst lutherischen Pfarrern in den ehemaligen Waldenserkolonien zu verdanken, insbesondere Adolf Märkt (1861-1947) in Pinache und Ludwig Zeller (1889-1981) in Ötisheim. In den letzten Jahrzehnten wurde die Pflege der eigenen Identität vor allem von Gemeindepartnerschaften zwischen den Waldenserkolonien in Württemberg und ihren (katholischen) Herkunftsorten im Chisonetal gefördert.
Aktualisiert am: 22.06.2017
Literatur
LITERATUR:
Mathias Asche, Hugenotten und Waldenser in Württemberg. Immigration – Privilegien – Kirchenwesen – Identität – Integration. Ein Vergleich, in: BWKG 110 (2010), S. 81-135.
Jürgen Eschmann und Albert de Lange (Hgg.), Jean Henry Perrot (1798–1853). Der letzte waldensische Schulmeister in Württemberg (Waldenserstudien, 4), Ubstadt-Weiher 2011.
SiegfriedHermle, Das Ende der württembergischen Waldenserkirche im 19. Jahrhundert, in: BWKG 101 (2001), S. 70–113.
Konstantin Huber, Vogt Georg Martin Greber (1659–1729) und die Ansiedlung der Waldenser im württembergischen Klosteramt Maulbronn, in: Lange, Valkenier, S. 215–242.
Keller: Andreas Keller, Kurzer Abriß der Geschichte der wirtembergischen Waldenser, Tübingen 1796 (Neudruck: Bruchsal 2008).
Theo Kiefner, Die Waldenser auf ihrem Weg aus dem Val Cluson durch die Schweiz nach Deutschland 1532–1820/30, 4 Bde., Göttingen 1980-1997.
Theo Kiefner, Die Privilegien der nach Deutschland gekommenen Waldenser, 2 Bde., Stuttgart 1990.
Theo Kiefner, Andreas Keller aus Schaffhausen/Schweiz. Pfarrer in der Waldenserkolonie Neuhengstett 1787–1794; sein Lebenslauf; aus seinem Tagebuch; aus seinen Zeitungsartikeln; sein Waldenserbuch; eine seiner Predigten, Stuttgart 1999.
Albert de Lange (Hg.), Dreihundert Jahre Waldenser in Deutschland 1699–1999. Herkunft und Geschichte. Mit einem Ortsführer durch die deutschen Waldenserorte, 2. Auflage, Karlsruhe 1999.
Albert de Lange und Gerhard Schwinge (Hgg.), Pieter Valkenier und das Schicksal der Waldenser um 1700 (Waldenserstudien, 2) Ubstadt-Weiher 2004.
Albert de Lange, Der Beitrag der Waldenser zur Kultur in Württemberg im 18. Jahrhundert, BWKG 110 (2010), S.47-80.
Günter Majewski, Von der Selbstverwaltung zur erzwungenen Assimilation. Die Integration der Waldenser in Württemberg, Bruchsal 2010.
Friedrich Carl Friedrich Carl Freyherrn von Moser, Actenmäßige Geschichte der Waldenser, ihrer Schicksale und Verfolgungen in den letzten dritthalbhundert Jahren überhaupt und ihrer Aufnahme und Anbau im Herzogthum Würtemberg insbesondere. Mit Urkunden und Beylagen, Zürich 1798.
Harald Schätz, Die Aufnahmeprivilegien für Waldenser und Hugenotten im Herzogtum Württemberg : eine rechtsgeschichtliche Studie zum deutschen Refuge (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen, 177), Stuttgart 2010.
LINKS:
www.waldenser.de
www.waldenserbibliographie.com
Bildnachweise
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„Lux lucet in tenebris“ (Das Licht scheint in die Finsternis). Das „sehr alte Wappen der Täler“ belegt den Anspruch der Waldenser, dass sie schon lange vor der Reformation „evangelisch“ gewesen seien.
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Die Waldensertäler im 17. Jahrhundert. Die Grenze zwischen Frankreich und Savoyen-Piemont bis 1713 und die heutige Grenze (schwarz). Das 1630-1696 französisch besetzte linke Ufer des Chisonetales ist rot gefärbt.
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Pieter Valkenier, der niederländische Sondergesandte für die Ansiedlung der Waldenser in Deutschland.
Deutsche Waldenservereinigung
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Das Henri-Arnaud-Haus, Sitz der Deutschen Waldenservereinigung. Es enthält ein Museum, ein Archiv und eine Bibliothek zur Geschichte und Gegenwart der Waldenser.
Deutsche Waldenservereinigung
Zitierweise
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