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Mitmenschen - Online-Ausstellung zur Geschichte der Diakonie in Württemberg

Tafel 1: Mitmenschen. Geschichte der Diakonie in Württemberg

Von Anfang an ist es für die christliche Kirche selbstverständlich gewesen, sich hilfebedürftiger Menschen anzunehmen. Im 19. Jahrhundert entstanden aus privater christlicher „Liebestätigkeit“ unzählige Hilfsvereine und diakonische Werke, die das evangelische Württemberg prägten. Viele dieser Initiativen sind inzwischen zu mittleren und großen Sozialunternehmen gewachsen. Diakonisches Handeln  gehört auch zu den zentralen Aufgaben der Kirchengemeinden.

Tafel 2: Diakonie – Dienen, Helfen, Nächstenliebe

Anderen zu helfen und beizustehen ist durch die Bibel begründet und fest im christlichen Glauben verankert. Diakonie ist ein altgriechisches Wort und bedeutet „Dienst“. Christus, der Herr, ist Diener aller –  der erste Diakon.

Dienen

„Fußwaschung“ Meister des Hausbuches, um 1475, Berlin, Gemäldegalerie

“Da rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“ (Markus 10,42-45)

Helfen

Julius Schnorr von Carolsfeld, 1860

Die Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter (LK 10, 25-37) fragt nach der Verantwortung für die Mitmenschen: wer ist mein Nächster? – wessen Nächster bin ich?

Nächstenliebe

„Die Werke der Barmherzigkeit „(Ausschnitt), um 1600, Evangelische Kirche St. Gallus, Bad Überkingen

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (3. Mose 19)
„Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal 6,2)

Diakoniegesetz 2003: „Diakonie ist gelebter Glaube der christlichen Gemeinde in Wort und Tat. Der Glaube antwortet auf die Verkündigung des Evangeliums; er erwächst aus der Liebe Gottes, die in Jesus Christus allen Menschen zugewandt ist. Alle Glieder der Gemeinde sind daher zur Diakonie gerufen.“

Tafel 3: Der diakonische Aufbruch im 19. Jahrhundert

Gründung erster Hilfsvereine

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verursachten Kriege, Missernten und Bevölkerungswachstum im Königreich Württemberg eine gewaltige Massenarmut. Die bestehenden Hilfsorgane waren heillos überfordert. Um die Not zu bekämpfen, schlossen sich im ganzen Land Geistliche und Privatpersonen zusammen. Diese wohltätigen Initiativen bedienten sich einer damals neuen bürgerschaftlichen Organisationsform – des Vereins. In den folgenden Jahrzehnten wurde auf dieser Grundlage ein Netz karitativer Vereinigungen, Rettungshäuser, Industrieschulen, Kranken- und Armenanstalten geschaffen. Fast alle gingen auf christlich-pietistische und bürgerlich-humanistische Privatinitiativen zurück. Der Aufbruch dieser Männer und Frauen begründete die Diakonie im neuzeitlichen Sinn.


Königin Katharina (1788-1819)

Unter Mitwirkung von Königin Katharina und König Wilhelm I. gründeten engagierte fromme Bürger 1816/17 die Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins. Sie förderte die Arbeit der vielen privaten Wohltätigkeitsvereine und regte an, im ganzen Land Bezirks- und Lokalwohltätigkeitsvereine einzurichten.


Gründungskomitee

Durch bürgerschaftliche Organisationen wie Vereine, Komitees, Stiftungen, Genossenschaften und Einrichtungen konnte die „freie christliche Liebestätigkeit“ wirksam und unbürokratisch auf soziale Missstände reagieren. Hier: Komitee für ein Diakonissenhaus in Stuttgart, 1854.


Statuten

Einer der ersten wohltätigen Frauenvereine wurde 1834 in Stuttgart gegründet


Hungertaler

Die Illustrationen zeigen die Ereignisse, die zur Hungersnot 1816/17 geführt haben. Nach überstandener Not wurden im ganzen Land Gottesdienste gefeiert: „Nun danket alle Gott“.

Tafel 4: Mitmenschen Pioniere

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts haben sich viele Menschen aufgemacht, die Notstände in ihrer unmittelbaren Umgebung zu verändern. Sie sind mutige, oft unbequeme Wege gegangen, um Neues zu bewegen und diakonisch zu wirken. Stellvertretend für die Vielen seien hier sechs Personen vorgestellt.


Heidi Denzel (1883-1975) Sozialarbeiterin aus evangelischer Überzeugung

Als eine der ersten ausgebildeten Sozialarbeiterinnen war sie beim Aufbau der Bahnhofsmission in Stuttgart tätig. 1926 gründete sie die Evangelische Hausschwesternschaft, die sich um die Entlastung kranker und erschöpfter Müttern kümmerte. Sie war die erste Geschäftsführerin der Frauenabteilung des Evangelischen Volksbundes (später: Frauenhilfe).


Paula Kolb (1876-1954) gab „gefallenen Mädchen“ Zuflucht

Die Stuttgarter Diakonisse übernahm 1910 die Leitung des neu gegründeten Weraheims der Stiftung Zufluchtstätten. Ihr Eintreten für ledige Mütter und deren Kinder wurde von einigen Zeitgenossen als Begünstigung der Unmoral angesehen. Doch sie stand „ihren Mädchen“ unbeirrt zur Seite.


Gustav Werner (1809-1887) Kämpfer für eine christliche Industrie

Der Theologe gründete ab 1850 genossenschaftlich organisierte Industriebetriebe in Reutlingen und Umgebung. Seine „christlichen Fabriken“ sollten nicht durch Ausbeutung Schwächerer Gewinn bringen, sondern den Schwachen ein Auskommen und soziale Sicherung geben.


Tobias Heinrich Lotter (1772-1834) Bürger im Ehrenamt

Der Kaufmann gründete 1805 den ersten privaten Wohltätigkeitsverein in Württemberg und stellte fortan sein gesamtes Leben in den Dienst der ehrenamtlichen Armenpflege. Er unterstützte und beriet viele karitative Einrichtungen im Land und war lange Jahre Vorstandsmitglied der Zentralleitung für Wohltätigkeit.


Sophie Wagner (1817-1886) Krankenpflegerin aus Berufung

Die Magd aus Vaihingen/Enz entschloss sich 1839 ins ferne Kaiserswerth zu ziehen, um Krankenpflegerin zu lernen und Diakonisse zu werden – Der Beruf war damals noch ganz neu. Ihr Mut hat sich gelohnt: Später wurde Leiterin der Schwesternschaft.


Johannes Ziegler (1842-1907) Wegbereiter der Suchtkrankenhilfe

Als langjähriger Leiter der Wilhelmsdorfer Taubstummenanstalt prägte der Pädagoge das Wesen der diakonischen Arbeit am Ort. Er wollte allen bedürftigen Menschen, die anderswo keine Hilfe bekamen, eine Heimat geben. Aus dieser Überzeugung heraus gründete er 1906 die erste württembergische Heilstätte für Alkoholkranke.

Tafel 5: Menschen – Begegnung

Was macht Menschen besonders? Was verbindet uns miteinander? Wie achten wir auf die Menschen in unserer Umgebung? Nehmen wir wahr, wenn jemand Hilfe braucht? Vier Personen erzählen aus ihrem Alltag.


Ich habe Angst, nicht mehr allein in meinem Haus zu Recht zu kommen.  Oft ist mir schwindelig und ich kann auch nicht mehr so gut denken wie früher. Was ist, wenn ich mal umkippe? Die Nachbarn sind doch alle bei der Arbeit. Mein Sohn kommt zweimal die Woche – da könnte schon alles zu spät sein. Ich bin froh, dass ich es schaffe, jeden Tag zum Supermarkt zu gehen. Da komme ich wenigstens mal unter Leute.


Ich bin oft traurig, weil meine Mama so wenig Zeit für mich hat. Von der Arbeit kommt sie kaputt heim und muss erst mal schlafen. Ich mache mir dann selbst was zu essen und auch für meine Mama,  wenn sie dann wieder aufwacht. Der Kühlschrank ist oft leer. Dann gibt es Brot mit Zucker. Das geht leicht und schmeckt gut. Und wenn es was Süßes gibt, bekommt meine Mama gute Laune, und wir lachen zusammen.


Mit nicht einmal 20 Jahren wurde ich krank. Meine Hände und Füße verkrüppelten, schon bald konnte ich nicht mehr arbeiten und war auf ständige Pflege angewiesen. Aber ich wollte noch etwas leisten und auch etwas verdienen, also habe ich mir das Schreiben mit dem Mund beigebracht. Das ist keine leichte Sache. Ich habe viel üben müssen. Aber die vielen Schreibaufträge, die ich bekomme, zeigen mir, dass meine Fähigkeiten geschätzt werden.


In meiner Heimat bekämpfen sich die Menschen schon seit vielen Jahren. Über Schleichwege bin ich nach Deutschland gelangt. Aber hier sagt man mir: du bist nicht willkommen, du musst wieder zurück. Jetzt lebe ich heimlich hier, mache Gelegenheitsjobs, wo niemand Fragen stellt. Aber ich habe furchtbare Angst. Wenn die Polizei mich erwischt, ist alles aus. Jeden Tag sage ich mir: Du darfst nicht auffallen, bleib einfach unsichtbar.

Tafel 6: Mitmenschen – arm und notleidend

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren viele Menschen in Not. Ganze Bevölkerungsschichten konnten von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben. Besonders augenfällig war das Leid der Jugend: Familie und Gemeinschaft waren brüchig geworden und viele Kinder blieben unversorgt sich selbst überlassen. In Scharen zogen sie bettelnd durch die Straßen. Aus diesem Notstand heraus formierten sich fromme Bürger zur „Rettungshausbewegung“ in Württemberg. In rascher Folge entstanden Anstalten zur Rettung armer, elternloser oder „verwahrloster“ Kinder. Die Kinder und Jugendlichen sollten Bildung und Handfertigkeit für einen Broterwerb erhalten und durch eine christliche Erziehung die Basis für eine geordnete Lebensführung mitbekommen.


Hilfsgüterausgabe nach 1945

Eine bedürftige Familie erhält Hilfsgüter durch das Evangelische Hilfswerk, nach 1945


Das Rettungshaus in Wilhelmsdorf

In den Rettungshäusern, die seit den 1820er Jahren ins Leben gerufen wurden, sollte Kindern, zum Beispiel Waisenkindern oder Kindern von Bettlern, eine Heimstatt geschaffen werden, in der sie Unterricht und Erziehung genießen konnten.


Gestrickte Strümpfe

Erste Armenbeschäftigungsanstalten und Strickschulen entstanden bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Auch Kinder waren einbezogen und sollten zu Fleiß und Handfertigkeit erzogen werden.


Großheppacher Schwester mit Kindergartenkindern

Als im Zuge der Industrialisierung viele Mütter der unteren Schichten in Fabriken arbeiten gingen, entstanden erste Initiativen, auch Kleinkinder zu betreuen. „Kinderbewahranstalten“ hießen die Vorläufer der heutigen Kindergärten. Bald sollten die Kleinen dort nicht nur „bewahrt“, sondern nach den damals neuesten pädagogischen Erkenntnissen erzogen und gefördert werden. 1856 wurde in Großheppach die erste Ausbildungsstätte für evangelische Kleinkinderpflegerinnen ins Leben gerufen.


Jugendhilfe, Karlshöhe Ludwigsburg

Heute werden in der Jugendhilfe individuelle, auf die jeweiligen Bedürfnisse des Kindes zugeschnittene Lösungen angestrebt – Leben in Wohngruppen, Tagesangebote oder sozialpädagogische Einzelbetreuung in der Familie. Diese pädagogischen Ansätze haben ihre Wurzeln  in den1960er Jahren. Zuvor waren Kinderheime als geschlossene Einrichtungen konzipiert, in denen der allgemeine autoritäre Erziehungsstil vorherrschte und seelischer und körperlicher Missbrauch keine Seltenheit war. Arbeit galt als heilsames Erziehungsmittel.

Tafel 7: Mitmenschen – arm und notleidend

Unterstützung in allen Lebenslagen

Die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sorgte zwar für weitere Erwerbsquellen, brachte aber auch neue soziale Probleme hervor. Die Entwurzelung und Verelendung vieler Menschen stellte die Werke der Inneren Mission vor neue Herausforderungen. Die Hauptursache des Elends wurde nicht in der sozialen Ungleichheit gesehen, sondern in der Entchristlichung der Gesellschaft und der mangelnden Tugendhaftigkeit des Einzelnen. Ziel war daher, nicht nur die äußere Not zu lindern, sondern den Menschen wieder christliche und kirchliche Orientierung zu geben. Nach englischem Vorbild entstanden „Stadtmissionen“, die ihre Mitarbeiter von Tür zu Tür schickten, um den Nöten der Menschen zu begegnen und auf vielfältige Weise Hilfe zu leisten.

Johann Hinrich Wichern (1808-1881)

Nach Brotkrawallen und den revolutionären Erhebungen 1848 rückten die Werke der Inneren Mission und die Kirche enger zusammen, um gemeinsam die als bedrohlich empfundenen aufständischen Kräfte abzuwehren. Der Theologe Johann Hinrich Wichern rief auf dem ersten deutschen Kirchentag 1848 in Wittenberg zum Zusammenschluss der evangelischen Wohltätigkeitsvereine auf und gründete den Central-Ausschuss für Innere Mission. Das war der Beginn der organisierten Diakonie in Deutschland.


Zwei Wege Bild Alkohol, um 1900

Unter dem Motto „mit Jesus und ohne Alkohol“ wurde um 1900 die  Suchtkrankenhilfe ausgebaut.


Mitternachtsmission

Während und nach den zwei Weltkriegen verstärkten sich die Problembereiche Prostitution, Frauenhandel, Geschlechtskrankheiten. Eine Mitarbeiterin der Stuttgarter „Mitternachtsmission“ spricht junge Frauen an, um sie über Gefahren aufzuklären.


Broschüre der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, 1961

Arbeitslosigkeit, Armut, Obdachlosigkeit, psychische Erkrankungen und Sucht betreffen auch heute viele Menschen. Mit einem breiten Netz an Hilfsangeboten versucht die Diakonie in Not geratene Mitmenschen wieder einen würdigen Platz in der Gesellschaft zu ermöglichen.


Diakonische Bezirksstellen

Anlaufstelle für alle Notlagen am Ort sind die Diakonischen Bezirksstellen. Bei Familienkonflikten, Drogenproblemen oder psychischen Belastungszuständen stehen sie mit ihrem Beratungsangebot bereit. Die professionelle Arbeit ist oft eingebunden in das Netz diakonisch engagierter Kirchengemeinden. Ohne die freiwillige Hilfe beherzter Privatpersonen – in Taten, aber auch durch Geldspenden, wäre diakonische Arbeit nicht möglich.

Tafel 8: Mitmenschen – krank und pflegebedürftig

Krankenpflege – ein neuer Frauenberuf

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es keine geregelte Krankenpflege. Es fehlte vor allem an ausgebildetem Personal. Für diese Aufgabe versuchten Reformer gläubige junge Frauen zu gewinnen.
So entstand in evangelischen Kreisen der Beruf der Diakonisse. Die ledigen Frauen waren in Schwesternschaften organisiert. Sie erhielten eine pflegerische und sozialdiakonische Ausbildung und wurden anschließend in Krankenhäuser, Gemeindepflegestationen und andere soziale Einrichtungen ausgesandt. Ihr Verdienst floss an das Mutterhaus zurück, das wiederum für ihren Unterhalt aufkam und die Versorgung bei Krankheit und im Alter sicherstellte. Wer heiratete, schied aus der Gemeinschaft aus. Das erste Diakonissenhaus für Württemberg wurde 1854 gegründet.


Pfarrer Theodor Fliedner (1800-1864) und seine Frau Friederike (1800-1842)gründeten am 13. Oktober 1836 in Kaiserswerth bei Düsseldorf die erste Bildungsanstalt für evangelische Pflegerinnen und leiteten damit eine Professionalisierung der Krankenfürsorge ein, deren Bedeutung für das beginnende Industriezeitalter von großer Bedeutung war.


Schwestern beim Unterricht

Schulkurs in der Stuttgarter Diakonissenanstalt, 1925

Die  Tracht war Symbol für die Hingabe der Diakonissen an die Gemeinschaft, die sie auch außerhalb des Dienstes schützte und verpflichtete. Darüber hinaus wurde sie zum werbewirksamen Erkennungszeichen für diakonische Arbeit.

Die württembergischen evangelischen Schwesternschaften:
1854 Stuttgarter Diakonissenanstalt
1856 Großheppacher Schwesternschaft für Kleinkinderpflegerinnen
1886 Evangelische Diakonissenanstalt in Schwäbisch Hall
1894 Diakonissenmutterhaus der Olgaschwestern in Stuttgart
1913 Evangelische Diakonieschwesternschaft in Herrenberg
1926 Evangelische Hausschwesternschaft in Korntal
1927 Diakonissenmutterhaus in Aidlingen

Tafel 9: Mitmenschen – krank und pflegebedürftig

Wandel in der Pflege

Die Nachfrage nach Diakonissen wuchs beständig und die Anstalten expandierten bis in die erste Hälfte des 20 Jahrhunderts kontinuierlich. Danach mangelte es an Nachwuchs. Es bildeten sich freier gestaltete diakonische Schwesternschaften und auch nichtkonfessionelle pflegerische Berufsverbände.

Die einst von den Diakonissen versorgten Gemeindepflegen sind heute in den Diakonie- und Sozialstationen wirksam. Oft arbeiten sie mit den örtlichen Krankenpflegevereinen zusammen. Sie koordinieren ambulante Pflegedienste und vermitteln Haushalts- und Nachbarschaftshilfen.


Bewohner des Hauses der Barmherzigkeit in Wildberg, gegründet 1864

Alte Menschen galten lange Zeit nicht als besonders betreuungsbedürftig. Meist lebten sie im Familienverband und wurden, wenn sie hinfälliger wurden, auch dort gepflegt. Durch die wachsende Binnenwanderung im Laufe  des 19. Jahrhunderts wurden die Generationen getrennt und viele Alte blieben unversorgt. Die Altenarbeit entwickelte sich zu einem wichtigen Aufgabengebiet für diakonische Vereine und Werke.


Rollstuhl


Diakon in der Krankenpflege, 1950

Die Ausbildung männlicher diakonischer Mitarbeiter begann in Württemberg 1876 mit Gründung der evangelischen Brüderanstalt Karlshöhe in Ludwigsburg. Vor allem Krankenpfleger Erzieher wurden benötigt. Heute sind Diakone und Diakoninnen in der Gemeinde, in der Jugendarbeit, in der Pflege,  in sozialen Einrichtungen, im Religionsunterricht sowie in der Seelsorge und Erwachsenenbildung tätig.


Schwester vom ambulanten Pflegedienst „Diakonie daheim“, Evangelisches Diakoniewerk Schwäbisch Hall

Sie besucht Menschen, bei denen sie Medikamente verabreicht oder Wunden versorgt. Jemand will gebadet werden, ein anderer braucht künstliche Ernährung, oder Hilfe, um aus dem Bett zu kommen…. Das persönliche Gespräch mit den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen ist der Schwester ein wichtiges Anliegen.

Tafel 10: Mitmenschen – behindert und besonders

Bildung und Arbeit für Menschen mit Behinderungen

Im ausgehenden 18. Jahrhundert beschäftigten sich Pädagogen erstmals mit der Frage der Bildungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen. Sie richteten ihr Augenmerk zunächst nur auf Blinde und Taubstumme – doch schon bald wurden auch spezielle Schul- und Bildungskonzepte für Menschen mit geistigen Behinderungen entwickelt. In den nun entstehenden Einrichtungen erhielt jeder Mensch ausgehend von seinen individuellen Fähigkeiten einen spezifischen schulischen und handwerklichen Unterricht.
Bis heute ist die daraus entstandene Möglichkeit zur Teilhabe an Ausbildung und Arbeit ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen.


Lautierender Taubstummer am Spiegel, Taubstummenanstalt Wilhelmsdorf, um 1920

Wichtiger Bestandteil des Unterrichts in den Taubstummenanstalten war das Erlernen der Lautsprache.


Kinder der Heil- und Pflegeanstalt Stetten beim Korbflechten, um 1900

Die handwerkliche Betätigung gehörte seit jeher fest in den Tagesablauf der diakonischen Einrichtungen. Bis heute bieten viele von ihnen in hauseigenen beschützenden Werkstätten die verschiedensten Beschäftigungsmöglichkeiten an. Neben traditionellen Handwerken haben hier inzwischen auch industrielle Fertigungsabläufe ihren Platz gefunden.

Armprothese

Spezielle medizinische Behandlungen in Kombination mit beruflichen Bildungs- und Rehabilitationsmaßnahmen ermöglichten Menschen mit körperlichen Einschränkungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine zunehmend selbständige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Tafel 11: Mitmenschen – behindert und besonders

Der Wert eines Menschenlebens

Menschen mit Behinderungen sahen sich in der Geschichte immer wieder Ausgrenzung und Diskriminierung gegenüber gestellt. Im 19. Jahrhundert gab es konkrete Überlegungen, ihr Lebensrecht einzuschränken und ihre Fortpflanzung aktiv zu unterbinden. Grausame Realität wurden diese Pläne dann während der nationalsozialistischen Herrschaft. Rassenhygienische Gesetze legitimierten Zwangssterilisationen zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Im Zuge des Euthanasie Programms wurden über 70.000 Menschen mit Behinderungen planmäßig ermordet.


Eine Gruppe der Karlshöhe Ludwigsburg besucht das Mercedes-Benz Museum Stuttgart

Inklusion bedeutet…
… den Wert jedes Menschen gleichermaßen zu achten.
… keinen Menschen aufgrund seiner Behinderungen gesellschaftlich auszugrenzen.
… ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen.

Auf der einen Seite ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen heute ein selbstverständliches Gut unserer Gesellschaft. Sie treten in Kunst- und Kulturprojekten im öffentlichen Leben in Erscheinung und haben die Chance auf berufliche Teilhabe. Andererseits jedoch stellen immer neue Methoden vorgeburtlicher Diagnostik und Präimplantationsmedizin die Selbstverständlichkeit der Geburt von Kindern mit Behinderungen massiv in Frage.


Pränatale Beratungsstelle

Im Jahr 1997 wurde die Beratungsstelle für Pränatale Untersuchung und Aufklärung (PUA) des Diakonischen Werkes Württemberg als deutschlandweit erste kirchliche Anlaufstelle ihrer Art ins Leben gerufen. Hier finden werdende Eltern Unterstützung, Orientierung und den Raum, in Ruhe individuelle Entscheidungen zu treffen.


Wunschbaby?

Nur Fiktion? Oder können wir infolge der scheinbar unbegrenzten medizinischen Möglichkeiten bald individuelle Merkmale ungeborener Kinder vorab festlegen?

Tafel 12: Mitmenschen – heimatlos und fremd

Wohnungslos und ausgeschlossen

Heimatlosigkeit hat viele Ursachen – und nicht selten mündet sie in Armut, Ablehnung und gesellschaftlicher Isolation. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bemüht sich die evangelische Wandererfürsorge darum, Menschen ohne Obdach und Heimat aus dieser prekären Lage wieder in die Mitte der Gesellschaft hereinzuholen. Heute reicht das breit gefächerte Unterstützungsangebot der Diakonie von Wohnangeboten über berufliche Rehabilitation bis zum Betrieb von Wärmestuben.


Fremdenstube der Herberge zur Heimat in der Stuttgarter Gerberstraße, um 1910

Herbergen zur Heimat gingen auf Gründungen christlicher Vereine zurück und wurden von Diakonen geleitet. Aufnahme fanden vor allem wandernde Handwerker aber auch ortsansässige junge Arbeiter. Neben Unterkunft und Verpflegung boten sie auch Raum für eine sittlich einwandfreie Freizeitgestaltung.


Gebäude der Arbeiterkolonie Erlacher Höhe, um 1900

In den Arbeiterkolonien waren die Insassen verpflichtet, in der hauseigenen Landwirtschaft mitzuarbeiten. So sollten sie animiert werden, das Wandererleben zugunsten von Sesshaftigkeit und geregelter Erwerbsarbeit aufzugeben. 


Spendendank aus der Erlacher Höhe, 1951

Plakat des Diakonischen Werks, 1980er Jahre

Menschen ohne Heimat und Obdach – auch heute sind sie im Stadtbild präsent. Augenfällig ist der wachsende Anteil von Frauen und Jugendlichen, die auf der Straße leben.

Tafel 13: Mitmenschen – heimatlos und fremd

Hilfe bei Flucht und Vertreibung

In der Geschichte gibt es immer wieder Ereignisse, infolgedessen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat verlassen müssen. Auch Deutschland erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg Wanderbewegungen bislang unbekannten Ausmaßes. Millionen von Menschen zogen obdachlos, heimatlos und mittellos durchs Land.
Berichte über große Flüchtlingsströme sind auch in unserer heutigen Zeit alltäglich. Menschen fliehen vor Armut, Gewalt, Krieg und ethnischer Verfolgung. Sie suchen ein besseres Leben in der Fremde, doch ihre Hoffnungen bleiben oft unerfüllt. Unsicherer Rechtsstatus und Erfahrungen gesellschaftlicher Ausgrenzung prägen ihren Alltag. Die Ausländerarbeit der Diakonie unterstützt und berät all diese Menschen. Sie wird getragen von einem interkulturellen Engagement, das gegenseitiges Verständnis füreinander aufbauen will und Fremdenfeindlichkeit abbauen möchte.


Verteilung von Hilfsgütern durch das Hilfswerk der evangelischen Kirche in Deutschland, 1945

Ohne die Arbeit des Hilfswerks wäre es nicht möglich gewesen, das millionenfache Leid der Flüchtlinge und Heimatlosen nach dem Zweiten Weltkrieg zu lindern. Um die Menschen überhaupt mit den lebensnotwendigsten Gütern wie Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten versorgen zu können, bat das Hilfswerk auch in evangelischen Gemeinden im Ausland um Spenden.


Aus der Fusion von Hilfswerk und Innerer Mission entstand das heutige Diakonische Werk der EKD mit seinen Landesverbänden


Deutschunterricht für Ausländer, Evangelische Gesellschaft Stuttgart um 1970 und heute

Sprach- und Integrationskurse, interkulturelle Begegnungsstätten und Kindergärten, Ausländerseelsorge und –gottesdienste, Rechtsberatung für Asylsuchende sowie spezielle Wohnangebote für junge Migrantinnen gehören zum Angebotsspektrum der diakonischen Ausländerarbeit.


Tagung mit Flüchtlingsfrauen in Bad Boll in Kooperation von Evangelischer Akademie und dem Diakonischen Werk Württemberg

 

 

 

 

 

Veröffentlicht am: : 16.03.2014

Aktualisiert am: 14.07.2015

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