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Von: Ehmer, Hermann Karl
Inhaltsverzeichnis
Auf die Kunde vom erfolgreichen württembergischen Feldzug des Landgrafen Philipp von Hessen 1504-1567 im Mai 1534 hat Erhard Schnepf, damals Rektor der Marburger Universität, der Matrikel eine kurze Bemerkung über die Rückführung Herzog Ulrichs 1487/1498-1550 einverleibt, die er mit den Worten schloß "Res nimirum dignissima, quae omnibus quum historiis tum annalibus inseratur".(1) Diese Bewertung der Wiedereinsetzung der württembergischen Dynastie als eines denkwürdigen Ereignisses war keineswegs übertrieben, weil damit die Reformation des Herzogtums begann. Was Erhard Schnepf aber damals noch nicht wusste, war, dass dieses Ereignis zugleich auch einen wichtigen Einschnitt in seinem eigenen Leben darstellen würde. Er wurde nämlich nur wenige Wochen später nach Württemberg geholt, wo er die folgenden 14 Jahre wirken sollte.(2)
1: Herkunft und Ausbildung
Nach fast einem Jahrzehnt der Wirksamkeit in Nassau und Hessen kam Schnepf damit wieder in die Nähe seiner Heimat, denn er war am 1. November 1495 in der Reichsstadt Heilbronn geboren worden.(3) Die reichsstädtische Herkunft hat Schnepf mit anderen südwestdeutschen Reformatoren gemeinsam, so mit Johannes Brenz 1499-1570 Martin Bucer 1491-1551 und Martin Frecht 1494-1556 Auch der letztere stammte wie Schnepf aus einer Schuhmacherfamilie, denn dies war das Handwerk, das Erhard Schnepfs gleichnamiger Vater ausübte. Er war 1483 aus dem benachbarten württembergischen Flecken Großgartach nach Heilbronn gezogen und hatte es in der Reichsstadt offenbar zu einigem Wohlstand gebracht, der seinen Söhnen einen sozialen Aufstieg ermöglichte.(4) Ein Bruder Erhards, mit Namen Matthias, der das Gewerbe eines Kaufmanns ausübte, kam 1531 in den Rat der Reichsstadt und wurde 1539 Bürgermeister. Der Vater starb nach 1535, seinem Sohn Erhard wurde noch 1544 bewilligt, dass er seine Güter weitere drei Jahre im Bürgerrecht liegen lassen dürfe. Es wird daran ersichtlich, dass Erhard Schnepf über die Jahre -und als er längst in Württemberg angestellt war - nie die Verbindung nach Heilbronn hat abbrechen lassen.
Erhard Schnepf hat seine erste Bildung sicher in der Heilbronner Lateinschule des Konrad Költer genossen.(5) Diese Vorbildung ermöglichte es ihm, 1509 an die damals recht beliebte Universität Erfurt zu gehen, wo er 1511 den artistischen Grundkurs mit dem Grad eines Bakkalaureus artium abschloss.(6) Hierauf ging er an die Universität Heidelberg, wo er am 11. Dezember 1511 immatrikuliert wurde.(7) In Heidelberg wurde er am 28.Februar 1513 zum Magister artium promoviert(8) und studierte hierauf fünf Jahre lang Theologie, erwarb den Grad eines Bakkalaureus theologiae und legte alle für die Doktorpromotion vorgeschriebenen Übungen ab. Zur Promotion kam es dann - wohl aus finanziellen Gründen - allerdings nicht mehr.(9) Nach dem Theologiestudium - also im Jahre 1518 - begann er das Studium der Rechte, das er bis zu seiner Berufung auf die Predigerstelle nach Weinsberg betrieb.
Schnepf hat also, zusammen mit anderen Heidelberger Studenten, wie Johannes Brenz, Martin Bucer, Martin Frecht, Johann Isenmann ca. 1495-1574 und Franciscus Irenicus 1495-1559 od. 1565 die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518 miterlebt.(10) Den ins selbe Jahr fallenden Übergang Schnepfs zum Jurastudium wird man wohl nicht als Anzeichen einer durch die Disputation ausgelösten theologischen Krise sehen müssen. Vielmehr qualifizierte er sich durch dieses Zweitstudium für eine höhere geistliche Laufbahn. Im Besitz einer einträglichen Pfründe wäre es dann möglich gewesen, die Doktorpromotion, die nur noch Formsache war, rasch nachholen zu können. Es kam aber nicht dazu, weil Luthers Disputation eine Wende auch für Schnepfs Leben bedeutete. Den Teilnehmern der Heidelberger Disputation ging es jetzt um die praktische Umsetzung der Kirchenreform. Schnepf übernahm deshalb die Prädikatur in Weinsberg, auch wenn diese nur bescheidene Einkünfte bot. Als Nachfolger von Johannes Oekolampad 1482-1531 wurde er am 19. Juni 1520 auf diese Stelle präsentiert.(11) Die Einkünfte der Weinsberger Prädikatur waren höchst bescheiden, wie aus einem undatierten, jedoch wohl kurz vor 1534 entstandenen Bericht des Weinsberger Kellers Ulrich Renz hervorgeht.(12) Demnach wurde Oekolampad, Schneps Vorgänger als Weinsberger Prädikant, hauptsächlich von seinem reichen Vater unterhalten. „Als aber nach ime der Schnepf dahin kommen, mochte er sich auch damit nit betragen. Deßmals hetten die von Wynsperg ausser dem gemainen seckel, item dergleichen die bruderschafften unnd pflegen zusamen gethun und ime noch ettlich gelt darzu geben, das er hette mogen hinus pringen."
2: Erste Wirksamkeit als Prediger
In Weinsberg wird Schnepfs Hinwendung zur Reformation deutlich sichtbar. Bereits nach zwei Jahren musste er nämlich von seiner Stelle weichen, da die österreichische Regierung in Württemberg das Wormser Edikt streng handhabte. Seine Zuflucht fand Schnepf zunächst bei Dietrich von Gemmingen auf Burg Guttenberg am Neckar(13), 1524 nahm er dann eine Predigerstelle in der benachbarten Reichsstadt Wimpfen an. Dort verheiratete er sich mit Margarete Wurzelmann, der Tochter des Bürgermeisters, die ihm am 1. November 1525 seinen ersten Sohn Dietrich gebar.(14)
An allen drei Stellen befand sich Schnepf nicht nur in der Nähe seiner Vaterstadt, sondern auch im Kreise von Gleichgesinnten, nämlich der Heidelberger Studiengenossen. Von ihnen hatte eine ganze Anzahl Anstellungen bei den Adligen des Kraichgaus gefunden. Diese bildeten mit Brenz in Schwäbisch Hall eine Gruppe, die untereinander Verbindung hielt. Greifbar wird diese Gruppe mit ihrer Schrift, dem später so genannten "Syngramma", das sie gegen Johann Oekolampad in Basel über das rechte Verständnis des Abendmahls verfassten.(15)
Wenige Monate nach Abfassung des "Syngramma", unter dessen Verfassern Schnepf an zweiter Stelle genannt wird, verließ er die engere Heimat, um einem Ruf des Grafen Philipp von Nassau nach Weilburg zu folgen.(16) Die schwierige Tätigkeit in Weilburg endete bereits nach zwei Jahren, da Landgraf Philipp von Hessen Schnepf 1528 an seine neugegründete Universität nach Marburg berief. Neben seiner Lehrtätigkeit amtierte Schnepf in Marburg auch als Prediger. 1532 und 1534 bekleidete er das Amt des Rektors.(17)
In jenen bewegten Jahren konnte sich Schnepf freilich nicht auf das Lehr- und Predigtamt beschränken, vielmehr hatte er auch dem Landgrafen in Fragen der Religionspolitik helfend und beratend zur Seite zu stehen.(18) So begleitete Schnepf seinen Landesherrn 1529 zum Reichstag nach Speyer, wo er als Prediger großen Zulauf hatte. Beim Marburger Religionsgespräch im Oktober 1529 trat Schnepf nicht in Erscheinung, doch muß er spätestens bei dieser Gelegenheit mit dem vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg bekannt geworden sein, der sich ja seit 1527 am Hofe seines Vetters Philipp von Hessen aufhielt.
Auch am Augsburger Reichstag 1530 nahm Schnepf als Mitglied der hessischen Gesandtschaft teil, ebenso auch an den weiteren Verhandlungen. Bekannt ist das Urteil des Nürnberger Gesandten Hieronymus Baumgärtner aus der spannungsreichen Situation des Reichstags, die manchen verzagen ließ. Schnepf hingegen - so Baumgärtner - hatte "noch ein Schnabel, christenlich und beständig zu singen."(19)
Am 29. Januar 1532 sandte die Reichsstadt Heilbronn ihren Syndikus Jakob Ehinger nach Marburg, um Schnepf das Angebot zu unterbreiten, eine Stelle als Prediger in Heilbronn zu übernehmen. Schnepf nahm jedoch nicht an, denn man hatte von ihm verlangt, daß er seinem Dienstherrn, dem Landgrafen Philipp von Hessen, in seinem Entlassungsgesuch das Heilbronner Angebot verschweigen sollte. Dies lehnte er ab, er verlieh aber in seinem Antwortschreiben nach Heilbronn der Hoffnung Ausdruck, "nach so vilfeltiger und beschwerlicher wandelung und raisung" auch einmal seinem "vatterlande" dienen zu dürfen.(20) Doch es bot sich für ihn in der Folgezeit nicht mehr die Gelegenheit, in die Dienste seiner Vaterstadt zu treten.
3: Reformator Württembergs
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Erhard Schnepf (1495-1558)
Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung
Dafür kam Schnepf nun 1534 auf Betreiben des Landgrafen Philipp nach Württemberg. Schließlich war die Reformation eines so wichtigen Territoriums wie Württemberg nicht nur für die Politik der protestantischen Stände wichtig, sondern ebenso auch von Bedeutung für den immer noch schwebenden Abendmahlsstreit. Wer die württembergische Position besetzen konnte, hatte gegenüber der anderen Seite einen Vorteil errungen. Schon am 18. Mai - fünf Tage nach der Lauffener Schlacht - hatten deshalb die Straßburger Theologen sich an Herzog Ulrich und den Landgrafen gewandt und den Fürsten vorgeschlagen, Ambrosius Blarers 1492-1564 und Simon Grynaeus 1492-1541 für die Reformation des Herzogtums zu berufen.(21) Von anderer Seite wurde Herzog Ulrich nahegelegt, Johannes Brenz dafür zu gewinnen. Die Fürsten waren aber offensichtlich der Auffassung, daß die alleinige Berufung eines so profilierten Vertreters der lutherischen Abendmahlslehre das Verhältnis zu den Schweizern trüben würde. Dahingegen erschien es tunlicher, einerseits dem Vorschlag der Straßburger zu folgen und Blarer zu berufen, ihm aber einen ebenso qualifizierten Lutheraner an die Seite zu stellen und so beiden Richtungen Rechnung zu tragen.
Wie Philipp von Hessen wenige Wochen später an Melanchthon 1497-1560 schrieb, hatte er Schnepf auf Bitten Herzog Ulrichs nach Württemberg gesandt.(22) Die Berufung kam für Schnepf wohl recht überraschend, zudem ahnte er noch nicht, daß er längere Zeit in Württemberg bleiben würde, als er sich Ende Juni 1534 auf den Weg nach Stuttgart machte. Wie aus seinem Abschiedsbrief vom 5. August an den Statthalter an der Lahn, Georg von Kolmatsch, hervorgeht, wurde ihm erst in Stuttgart klar, daß er "fürthin freylich im wirtembergischen land werd müssen pleyben".(23)
4: Schnepf und Blarer
Vermutlich wusste aber Schnepf schon bei seiner Abreise aus Marburg, dass er in Stuttgart einen oberdeutschen Kollegen treffen würde. Über die Begegnung von Schnepf und Blarer sind wir vorwiegend aus den Briefen des Konstanzer Reformators und seiner Freunde unterrichtet, so dass man sicher gut daran tun wird, dabei ein wenig Parteilichkeit zu Ungunsten von Schnepf in Rechnung zu stellen. Martin Bucer 1491-1551 hat Blarer eingehend auf seine württembergische Aufgabe vorbereitet und es auch nicht versäumt, im selben Brief dem Freund mitzuteilen, dass der Kanzler des Herzogs drei Wochen lang mit der Ausfertigung des Einladungsschreibens an ihn zugewartet habe und es erst dann ausgehen ließ, als sich der Herzog wunderte, dass Blarer noch immer nicht geantwortet hatte.(24) Es ist erstaunlich, wie Bucer in Straßburg über interne Vorgänge am Stuttgarter Hof Bescheid wusste, er ermahnte Blarer, darauf gefasst zu sein, am Hofe nicht viele Freunde zu erwarten. Ob es Schnepf besser treffen würde, darüber hat Bucer keine Aussage gemacht.
Erhard Schnepf kam wohl am 29. Juli nach Stuttgart(25), einen Tag vor Blarer, der damit die Angaben Bucers bestätigt finden musste. Beim ersten Zusammentreffen der beiden gratulierte Schnepf seinem zukünftigen Mitreformator zu seiner Ankunft, setzte aber gleich hinzu, dass einer von beiden weichen müsse, falls Blarer mit ihm in der Abendmahlsfrage nicht eins werde. Bei der ersten Audienz Blarers beim Herzog wurde deshalb auch Schnepf hinzugezogen, als Blarer andeutete, dass es zwischen ihnen Differenzen gebe. Schnepf machte klar, daß der Unterschied zwischen beiden bei der "manducatio impiorum" liege, in der Frage, ob auch Ungläubige im Abendmahl den wahren Leib und das Blut Christi genießen. Dieser wichtige Unterschied mache es unmöglich, dass sie beide zusammen an den Aufbau der Kirche im Herzogtum gehen könnten. Nach diesem Ultimatum Schnepfs entließ der Herzog die beiden Theologen, behielt aber Blarer noch eine Weile bei sich und äußerte sich besorgt darüber, dass es viel Anstoß geben würde, wenn in seinem Herzogtum das Evangelium anders gepredigt werde als an anderen Orten in Schwaben und vor allem in den Reichsstädten. In seine Herberge zurückgekehrt schrieb Blarer einen Brief an den Herzog(26), in dem er sich über die schroffe Art Schnepfs beschwerte, der von ihm verlange, gegen den Wortlaut der Schrift eine grobe und fleischliche Auffassung vom Abendmahl zu vertreten. Blarer versäumte nicht, den Herzog auf die politischen Konsequenzen aufmerksam zu machen, falls man sich in Württemberg in dieser Weise von den übrigen oberdeutschen Kirchen entfernen würde. Er bat den Herzog um eine nochmalige Unterredung, die ihm anderntags auch gewährt wurde.
Martin Bucer hatte Blarer für die Verständigung mit Schnepf ein Konvolut von Dokumenten zur Abendmahlsfrage übersandt.(27) Eines davon, das in Marburg beim Religionsgespräch von Luther, nicht aber von den Schweizern akzeptiert worden war, trug er bei der zweiten Unterredung mit Herzog Ulrich im Geldbeutel bei sich. Blarer zeigte dem Herzog den Zettel, der daraufhin Schnepf rufen ließ. Dieser wollte anfänglich wieder eine ultimative Erklärung abgeben, wurde dann aber von Blarer unterbrochen, der ihn fragte, ob er dem zustimmen würde, was Luther akzeptiert habe. Blarer übergab ihm den Zettel, Schnepf las ihn und sagte, er würde nichts weiter fordern, wenn Blarer ihm dies zugestehen würde. Blarer antwortete, dass er ihm die auf dem Zettel stehende Abendmahlsformel nicht nur zugestehen wolle, vielmehr sei dies immer seine und der Zwinglianer Meinung gewesen. Das plötzliche Einverständnis der bislang unversöhnlich scheinenden Theologen bemerkend, rief der Herzog aus: "Das walt gott; der lass ain gute stund sein; dabei solls bleyben". Er veranlasste Schnepf und Blarer, daß sie unterschriebene Abschriften dieser Stuttgarter Konkordie austauschten, und freute sich nicht nur, dass jetzt Einverständnis mit den Städten hergestellt war, sondern auch darüber, dass es nun kein Hindernis mehr gab, mit dem Reformationswerk im Land zu beginnen.
Die Einigungsformel, von der Blarer fälschlicherweise annahm, dass sie auch die Zustimmung der Schweizer habe, lautete: "Wir bekennend, daß uß vermögen diser wort: ‘Diß ist min lib, diß ist mit blut’, der lib und das blut Christi warhafftiklich, hoc est essentialiter et substantive, non autem qualitative vel quantitative vel localiter im nachtmal gegenwirtig siend und geben werdind".(28) Der unerwartete Erfolg der von ihm selbst präsentierten Formel wurde Blarer freilich weithin als Zurückweichen gegenüber dem Lutheraner Schnepf ausgelegt, während dieser davon ausgehen konnte, dass Blarer ihm nachgegeben habe. Bereits Martin Bucers Schreiben an Blarer vom 5. August(29) enthält Bedauern, wenn nicht Kritik an der gefundenen Einigungsformel. Bucer hatte von Jakob Sturm 1489-1553 den der Herzog umgehend benachrichtigt hatte, von der Stuttgarter Konkordie erfahren und klärte Blarer jetzt darüber auf, dass Zwingli und Oekolampad diese etwas zu krasse Formulierung in Marburg zurückgewiesen und auch er selbst sie nie gebraucht hätte. Fraglich bleibt deshalb, warum Bucer dann die "articulos concordiae datos nobis a Lutheranis Marpurgi"(30), aus denen die Einigungsformel doch wohl stammt, überhaupt an Blarer gesandt hatte. Fest steht jedenfalls, dass Blarer in gutem Glauben gehandelt und er deshalb eine Einigungsformel vorgeschlagen hatte, der er selbst wohl zustimmen konnte, die aber in ihrer Außenwirkung - wenigstens wie Bucer meinte - möglicherweise nicht sehr glücklich sein mochte.
Trotz dieser Kritik versuchten die Straßburger Freunde, Blarer zu entlasten und alles zu tun, um bei Schnepf keine Siegesstimmung aufkommen zu lassen. Sie wandten sich an den Landgrafen, der seinerseits schon am 31. August einen mahnenden Brief an Herzog Ulrich richtete.(31) Philipp riet dem Herzog, nicht einem der Theologen allein zu trauen, sondern den beiden Einigkeit und Verträglichkeit zu befehlen. "E. l. mus nit zu hart uf ein mentsch allein trawen, ... wiewol der man sunst frum, aber umb seins ernsten yfferns willen solt wol grosse zutrenung und verderben manichs fromen mans folgen." Der Landgraf schrieb auch noch am selben Tag an "Maister Erhardt"(32), den er ermahnte, er solle Blarer bei dem Bekenntnis lassen, dem Luther und Melanchthon zugestimmt hätten und nicht mehr von ihm verlangen, damit nicht sein "bawen mher brechen dan uffbawen mocht".
Die Vorstellungen der Straßburger bei Landgraf Philipp müssen so eindringlich gewesen sein, dass dieser offenbar fürchten musste, dass das Reformationswerk in Württemberg scheitern könnte. Knapp zwei Wochen später, am 12. September, wiederholte er seine Mahnungen beim Herzog wie bei Schnepf. Seinen Vetter Ulrich(33) bat der Landgraf "umb furderung und auspreitung willen gotlichs worts und seiner ehr ... bei Schnepfen und andern e. l. predicanten verfugen" zu wollen, dass diese hinsichtlich der Abendmahlslehre "bey der Sachsischen Confession pleiben und dijhenigen, so nit gestracks irer meynung sein wollen, uber dieselbige confession, so sie di annehmen und bekennen, nit dringen". Es ging also dem Landgrafen um nichts weniger als um die Anerkennung der "Confessio Augustana" als Lehrgrundlage der württembergischen Kirche, auf die der Herzog dann künftig die anzunehmenden Pfarrer verpflichten ließ.(34)
Bei Schnepf wiederholte der Landgraf die Mahnung(35), er möge darauf achten, daß er nicht zerbreche, wo er aufbauen sollte, und forderte ihn auf, von unnötigem Zank abzustehen. Schnepf sah sich aber, wie er es in seinem Antwortschreiben(36) an den Landgrafen ausdrückt, zu Unrecht verleumdet, da ihm die Blarersche Erklärung völlig genüge. Hingegen "hett ich mich mer zu beclagen dann villeicht andere, die mir das spil zugericht haben". Er bat den Landgrafen, den erdichteten Bezichtigungen weiter keinen Glauben mehr zu schenken. Auch Herzog Ulrich goß Öl auf die Wogen, er meinte, dass die Straßburger "des Schneppen halb den Nytthart zuvil mit unnder lauffen" ließen "unnd legen in mer uff, wann an im selbs sey, dann der Plarer unnd er habenn sich des sacraments halb freuntlich unnd woll in unsserm bysein vereiniget unnd verglichen".(37) Es ist deutlich, dass Herzog Ulrich damit die Diskussion um die Stuttgarter Konkordie beenden wollte. Im Übrigen scheint trotz dieser Nachhutgefechte das Verhältnis zwischen Schnepf und Blarer in der Folgezeit nicht mehr wesentlich getrübt worden zu sein. Hinzu kam, dass jeder in seinem Arbeitsgebiet(38) eine so große Aufgabe vorfand, dass keinem Zeit blieb, sich weiter mit Streitigkeiten zu befassen.
Schnepf hatte das Land unter der Steig, also nördlich der Stuttgarter Weinsteige, zugewiesen bekommen, Blarer das Land ob der Steig, die Oberdeutschland zugewandte Seite des Herzogtums. Bedauerlich ist, dass wir über das reformatorische Handeln der beiden nur wenig unterrichtet sind. Schnepf hat seine Aufgabe unter der Steig wohl kaum anders angepackt als Blarer ob der Steig. Hiernach hat auch er die Geistlichen in den Amtsstädten versammelt und sie befragt, ob sie bei der Reformation mitwirken wollten, und daraufhin die entsprechenden Anordnungen getroffen. Offen muss bleiben, wer von den beiden am meisten durch den Mangel geeigneter Geistlicher benachteiligt war, davon, daß die Ernte groß, der Arbeiter aber wenige waren, wie Schnepf es schon in seinem Abschiedsbrief an Georg von Kolmatsch, wenige Tage nach seinem Eintreffen in Stuttgart, ausgedrückt hatte.(39)
Man wird nicht sagen können, dass Schnepf durch den Herzog oder dessen Regierung gegenüber Blarer begünstigt worden wäre. Dem Herzog lag daran, die Oberdeutschen und ihren theologischen Exponenten – eben Blarer – nicht zu verprellen. Die Aufteilung des Landes in zwei Sprengel erfolgte nach praktischen Gesichtspunkten. Für Blarer stellte es sich freilich als erschwerend heraus, dass ihm damit auch die Aufgabe zugefallen war, die Reformation der Universität in Angriff zu nehmen, nachdem der Versuch, Melanchthon dafür zu gewinnen, keinen Erfolg gehabt hatte.(40) Es zeigte sich bald, dass dies eine Sonderaufgabe war, die ausgeklammert werden musste.(41) Stuttgart als Dienstsitz war für Schnepf nicht unbedingt von Vorteil. Er war auch nicht ständig am Ort, sondern viel unterwegs, andererseits weilte auch der Herzog mit seinem Hofe häufig an anderen Orten. Zudem hatte Schnepf am Hof und unter den Beamten der Regierung wohl nicht viele Freunde. Vielmehr gab es hier - wie sich Schnepf später erinnert(42) - anfänglich nur Altgläubige oder solche, die schwärmerische - gemeint sind wohl zwinglische oder schwenckfeldische - Neigungen hatten. Sicher hat Schnepf damit die Situation im Rückblick etwas überzeichnet dargestellt. Denn im Herbst 1534 berichtet Brenz, daß sich Schnepf allgemeiner Beliebtheit erfreue und auch beim Herzog in Gnade sei.(43) Dieser hatte zwar von Landgraf Philipp den Rat erhalten, weder Blarer noch Schnepf zu bevorzugen, doch er ging jeden zweiten Tag zu Schnepfs Predigten in die Stiftskirche und ließ sich von ihm auch im Mai 1535 nach Ladenburg zu einem Treffen mit dem Landgrafen begleiten, ebenso auf der Reise nach Wien im Sommer desselben Jahres.(44)
5: Konflikte mit der Rentkammer
In die allgemeine Zustimmung zu Schnepfs Tätigkeit mischten sich freilich auch gelegentlich andere Töne. Im Stuttgarter Magistrat gab es bis 1537 noch altgläubige Männer. Auf diese geht sicher ein Schmähbrief zurück, der heimlich an Schnepfs Haustüre geheftet worden war und in dem Schnepf vorgeworfen wurde, dass er sich den Garten des Predigerklosters zur Nutzung habe übergeben lassen. Da das Kloster zu einem Spital umgewidmet wurde, sollte der Garten nur diesem zustehen. Hinter diesem Vorwurf an Schnepf, der den Garten offenbar als Gehaltsbestandteil erhalten hatte, stand allerdings die Absicht der Stadt, den Garten für eigene Zwecke zu nutzen. Weil sich aber Schnepf diesen Garten angeeignet habe, hieß es in der Schmähschrift, würden wohl 200 Männer und Frauen nicht mehr in seine Predigt gehen.(45)
Auf einer anderen Ebene als der Streit um den Garten liegt ein weiterer Vorwurf, der von einer aus täuferischen Kreisen kommenden Schuhmachersfrau gegen Schnepf erhoben wurde. Diese wurde zur Rede gestellt, weil sie sich von Predigt und Abendmahl fernhielt, und gab als Grund dafür an, dass Schnepf kein exemplarisches Leben führe. Vielmehr herrsche in seinem Haus ein hoffärtiges Wesen, da seine Frau samtene Goller und goldene Ringe trage. Dies mag nicht unbegründet gewesen sein, da Margarete Schnepf, die Wimpfener Bürgermeistertochter, vermutlich nicht auf die ihrem Stand entsprechende Tracht verzichtet haben dürfte. Doch ist auch klar, dass die Schuhmachersfrau, die noch unter der österreichischen Regierung ihren täuferischen Glauben abgeschworen hatte, immer noch an ihren alten Prinzipien festhielt. Dies zeigt sich deutlich auch daran, dass sie Schnepf weiter zum Vorwurf machte, dass er nicht alle Bilder aus den Kirchen verbannt, sondern einen Teil darin gelassen habe.
Schwerwiegender ist, dass offenbar bei Hofe gegen Schnepf intrigiert wurde. Es sind noch zwei längere Klageschriften erhalten, wovon die erste 1537 von dem Kanzler Nikolaus Maier aufgenommen wurde, die zweite, die wahrscheinlich im folgenden Jahr entstand, stammt von der Hand des Hofkanzlers Dr. Johann Knoder 1485 oder 1491-1565 (46) Es ist nicht ersichtlich, daß auf diese Klageschriften eine Maßregelung von Schnepf erfolgt wäre, doch haben ihm dergleichen Dinge ohne Zweifel das Leben schwer gemacht. Vielleicht steht damit im Zusammenhang, dass Melanchthon im April 1539 davon wusste, dass sich Schnepf mit der Absicht trug, Württemberg zu verlassen.(47)
Bei diesen beiden Klageschriften ist wiederum anzumerken, dass es sich selbstverständlich um parteiisches Material handelt, das zudem nicht immer einen soliden Eindruck macht. Am schwerwiegendsten sind hier wohl die die Zusammenstöße, die Schnepf mit dem Rentkammermeister Philipp Syblin hatte.(48) Der erste trug sich zu in Gegenwart des Abts von Herrenalb, Lukas Götz gest. 1546 der sich bei dem Rentkammermeister darüber beschwerte, dass er den ebenfalls anwesenden Predigern der Klosterdörfer Simmozheim, Merklingen und Hausen an der Würm Besoldungszulagen zahlen sollte. Der Abt, der im Übrigen nur noch als Verwalter der Klostereinkünfte fungierte(49), brachte gegen den Prediger von Simmozheim verschiedene Klagen vor, worauf Syblin den Prediger tadelte. Hier schaltete sich Schnepf ein, der sich auf die Seite des Pfarrers stellte. Diesem warf nun der Abt vor, keine Kinderlehre zu halten, worauf ihn auch Schnepf tadelte. Dennoch sollte dieser Prädikant, der nach Syblins Angabe eine Zeitlang Famulus bei Schnepf gewesen war, eine Zulage von fünf Gulden erhalten.
Dem Prädikanten von Merklingen machte der Abt ebenfalls Vorwürfe, denen der Prädikant jedoch nicht widersprach; dennoch wurden ihm nach Erkenntnis der Visitatoren 15 fl. Besoldungszulage gewährt. Syblin jedoch empfahl, ihn zu entlassen und den Pfarrer von Hausen mit der Versehung beider Flecken zu beauftragen, was Schnepf aber nicht zulassen wollte. Ganz deutlich ist, daß sich der Kammermeister Syblin hier die Funktion eines theologischen Visitators anmaßte und Schnepf diese Kompetenzüberschreitung zurückweisen musste. Allerdings nahmen die Rentkammerbeamten bei der Reformation eine wichtige Funktion ein, da sie wegen des Fehlens einer kirchlichen Leitungsbehörde die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Kirchen im Land zu regeln hatten, wodurch es zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten kommen musste. Dies erklärt, warum sich Syblin darüber beschwerte, daß Schnepf jedesmal, wenn er mit ihm rede, zornig werde und kein Auskommen mit ihm sei.
Einen weiteren solchen Vorfall berichtet die zweite Klageschrift. Demnach kam Schnepf eines Tages zu Syblin in die Rentkammer und trug vor, dass man dem Prädikanten in Schorndorf etwas von seinem Gehalt abgezogen habe. Schnepf verlangte, dem Prädikanten den Abzug wieder zu ersetzen, was ihm Syblin abschlug. Schnepf und Syblin gerieten daraufhin in einen Wortwechsel, den Syblin dadurch beendete, dass er sich wieder seinen Rechnungen zuwandte und Schnepf weiterreden ließ, so dass sich dieser bald entfernte. Er erschien aber wieder nach dem Morgenimbiss um die Sache weiterzuverfolgen. Schnepf beschuldigte nun Syblin, zur Einnahme der geistlichen Gefälle nicht berechtigt zu sein. Jetzt wurde der Streit so heftig, dass Syblin - bevor die beiden voneinander getrennt wurden - Schnepf noch die Pest an den Kopf wünschte.
Die Zusammenstöße mit dem Rentkammermeister zeigen deutlich, dass Schnepf eifrig darauf bedacht war, die Rechte der Kirche und ihrer Diener gegenüber dem fiskalischen Interesse der Herrschaft zu verteidigen. Auf das Konto seines lebhaften Temperaments ist deshalb zu verbuchen, dass er seine Meinung unverblümt kundtat, wie es seinem offenen Charakter entsprach. Andererseits wussten die Pfarrer draußen, dass sie an Schnepf einen eifrigen Fürsprecher hatten.(50)
5.1: Der Uracher „Götzentag“
Die Verteidigung eines Freiraums für das kirchliche Handeln war auch Schnepfs Interesse bei dem in Urach am 10. September 1537 veranstalteten Gespräch über die Bilderfrage.(51) An dieser Disputation nahmen Brenz, der Tübinger Professor Paul Konstantin Phrygio um 1483-1549 der Herrenberger Pfarrer Kaspar Gräter ca. 1501-1557 der Uracher Wenzeslaus Strauß gest. 1553/3 der Reutlinger Prediger Matthäus Alber 1495-1570 und sein Helfer Johann Schradin gest. 1560 Blarer und Schnepf teil. Außer den Theologen waren auch der Landhofmeister Balthasar von Gültlingen um 1500-1563 der Erbmarschall Hans Konrad Thumb gest.1555 der Kanzler Dr. Johann Knoder und der Rat Dr. Philipp Lang 1501-1541 erschienen.
Die oben genannte zweite Klageschrift gegen Schnepf, verfasst von Dr. Knoder, der selbst am Bildergespräch teilnahm, vermag einige wichtige Einzelheiten beizusteuern, die das offizielle Protokoll nicht enthält. Zwar haben die Angaben Knoders nur die Tendenz, Schnepf als "hochmiettig unnd polderisch" darzustellen, doch wird ebenso klar, dass es Schnepf darum ging, die Einmischung der weltlichen Gewalt in kirchliche Angelegenheiten zurückzudämmen. Er legte deshalb eingangs dar, dass er in der Bilderfrage weder den Herzog noch seine Räte als Richter haben wolle, und stellte die Frage, ob die anwesenden weltlichen Räte als Richter oder als Berichterstatter am Gespräch teilnähmen. Strauß pflichtete Schnepf bei und die Beamten antworteten ihnen, dass es lediglich darum gehe, eine einheitliche Linie in der Bilderfrage zu finden. Schnepf und Strauß bestanden dennoch auf ihrer Meinung und erklärten alle Anwesenden - mit Ausnahme von Brenz - als parteiisch. Blarer, auf den die Bezeichnung dieser Disputation als "Götzentag" zurückgeht, berichtet, dass die Theologen keinen einheitlichen Beschluss fanden, so dass die Räte verlangten, dass jeder seine Meinung schriftlich abgebe. Blarer beklagte, dass man wegen der "stummen götzen" so viel Aufhebens mache.(52) Gleichwohl war er selbst keineswegs gesprächsbereit und forderte unnachgiebig die Abschaffung der Bilder.
Brenz, Schnepf und Strauß gaben daraufhin eine differenzierte Stellungnahme ab, mit der sie eine pauschale Abschaffung der Bilder ablehnten. Diese können demnach in alttestamentlichem Sinne durchaus Denkmale und Gedenkzeichen sein, zumal Menschen ohnehin auf Zeichen angewiesen seien. Der Herzog entschied daraufhin jedoch im Sinne Blarers und befahl, die Bilder - jedoch in zurückhaltender Weise - abzuschaffen.(53)
Bei den gegen Schnepf vorgebrachten Klagepunkten ist deutlich, dass es ihm darum ging, den Einfluss der Rentkammerbeamten, die sich ganz offenkundig auch in theologische Fragen einmischten, einzuschränken und eine klare Scheidung der Befugnisse herbeizuführen. Gewiss hat ihn dabei sein Temperament manchmal die notwendige Konzilianz vermissen lassen, doch ist ganz offensichtlich, daß er nur da, wo es um theologische Entscheidungen ging oder um die seiner Aufsicht anvertrauten Pfarrer, den Konflikt nicht gescheut hat. Bemerkenswert ist, dass Herzog Ulrich ihn diese mutige Sprache offenbar nicht hat entgelten lassen und die Anschwärzungen und Zuträgereien, die die beiden Klageschriften gegen Schnepf enthalten, soweit ersichtlich, ohne nachhaltige Wirkung geblieben sind.(54)
5.2: Schnepf als Prediger
Ein noch deutlicheres Charakterbild von Schnepf ließe sich gewinnen, wenn wir seine Predigten kennen würden. Leider ist vollständig nur seine letzte Predigt, die er 1558, neun Tage vor seinem Tod hielt, überliefert. Sie wurde 1578 als "Cygnaea cantio", als Schnepfs Schwanengesang in Druck gegeben.(55) Daneben gibt es aber noch eine Reihe von Nachrichten, die es uns ermöglichen, ein hinlänglich klares Bild von Schnepfs Predigtweise zu zeichnen. Bekannt ist, daß Schnepf als "vir valde facundus"(56), als sehr beredter Mann galt. Ferner wissen wir, daß Herzog Ulrich, als er den jungen Jakob Andreae 1528-1590 1546 zum ersten Mal predigen hörte, diesen gleich als "Schnepfenküken" bezeichnete.(57) Es muß also Schnepfs Predigtweise etwas Charakteristisches an sich gehabt haben, sie war offenbar geprägt von einer bilderreichen, anschaulichen Sprache, die seine Predigten anziehend gemacht haben muss. Worum es sich hierbei handelte, zeigt uns die 1541 entstandene Sammlung von Abendmahlspredigten von Valentin Vannius, der seit 1537 in Stuttgart Schnepfs Mitarbeiter, 1544 schließlich sein Nachfolger geworden ist. In diesen Predigten finden sich auch Aussprüche von Schnepf, die offensichtlich dessen Predigten entstammen. Es handelt sich dabei ausschließlich um Gleichnisse, die Schnepf gebraucht hat.(58) So sagte er zu der Geschichte 2 Chron 31, der Zerstörung der Götzenbilder unter Hiskia, "man soll thun was gott befilcht, und nit was uns gutt dunckt" und bewies dies aus folgendem Gleichnis: "Alle amptleut müeßen nach befelch des fürsten regiren, die haußknecht nach befelch der haußhernn, die kinder nach bevelch der eltern, die kriegsknecht nach bevelch der hauptleut."
Obwohl Schnepf wenigstens wöchentlich, sicher aber häufiger gepredigt hat, werden seine Predigten in den Klageschriften nur wenig berührt. Ohne Zweifel ist dies als positives Zeichen zu werten. Denn ein anderer Vorfall, der in der Knoderschen Klageschrift weiter berichtet wird, hat Schnepfs Predigtdienst nur als äußerlichen Anlass. Es wird dort berichtet, dass während eines Gottesdienstes einige Müllerwagen an der Kirche vorbeigefahren seien, was etliche Gottesdienstbesucher veranlasste, aus der Kirche zu eilen. Schnepf soll bei dieser Gelegenheit die Disziplinlosigkeit seiner Predigthörer mit den Worten gestraft haben: "Sehet zu, die buben lauffen angesicht myner augen, sobald ich das evangelion gesagt, ausser der predig." Wahrscheinlich haben sich einige höher gestellten Personen unter den "Buben" befunden, die sich durch diese Bezeichnung peinlich berührt fanden, so daß dieser Vorfall Eingang in die Klageschrift fand.
Schnepfs deutliche Sprache führte 1541 zu einer vom Erbmarschall Hans Konrad Thumb im Namen des Herzogs veranlassten Untersuchung gegen ihn.(59) Schnepf hatte in einer Predigt am Matthiastag (24. Febr.) über Beruf und Leben der Apostel gepredigt und von ihrem Zeugnis von Christus. Dabei kam er auf die zu seiner Zeit amtierenden Bischöfe zu sprechen. Er sagte, dass man jetzt Gaukelmänner, die nichts wissen und können, zu Bischöfen mache. Unter den vier erst kürzlich erwählten Bischöfen sei einer, der zuvor mit aller Leichtfertigkeit, mit Essen, Trinken, Unzucht, Hurerei, Spielen und dergleichen umgegangen sei. Eben diese Leute verhinderten, daß es zu einem Gespräch oder Konzil zur Ausgleichung der anstehenden Fragen komme. Er selbst, sagte Schnepf, habe sich kürzlich nutzlos 12 Wochen lang in Worms aufgehalten, bis man zuletzt drei, vier Tage lang ein Gespräch gehalten habe.
Es ist nicht ganz deutlich, welchen Bischof Schnepf mit seinen Anschuldigungen meint.(60) Klar ist aber, dass er sich auf das kurz zuvor stattgefundene Religionsgespräch von Worms bezieht(61), das sich in der Tat in Geschäftsordungsfragen erschöpfte und dann nach Regensburg verlegt wurde. Die Enttäuschung Schnepfs über das fehlgeschlagene Gespräch ist zu verstehen, wenn man bedenkt, dass er neben seiner Tätigkeit in der württembergischen Kirche(62) diese auch nach außen zu vertreten hatte. Dies erforderte einen beträchtlichen Zeit- und Arbeitsaufwand, der sich daran ermessen lässt, dass Schnepf an allen Reichstagen teilgenommen hat, auf denen die Religionsfrage zur Debatte stand.(63)
Dem eben erwähnten Wormser Gespräch war kurz zuvor das in Hagenau vorausgegangen. Für den Schmalkaldischen Bundestag, auf dem das Hagenauer Gespräch vorbereitet werden sollte, hatte Schnepf ein Bekenntnis von den hauptsächlichsten strittigen Artikeln des Glaubens erstellt. Melanchthon hatte diese Ausarbeitung seinerzeit mit nach Wittenberg genommen, um sie zum Druck zu befördern. Er kam aber nicht dazu, denn er sandte das Manuskript am 21. Januar 1545(64) auf Veranlassung von Herzog Ulrich wieder an Schnepf zurück und forderte ihn auf, es in Tübingen drucken zu lassen.(65) In seinem Widmungsschreiben vom 7. Februar 1545, das an Herzogin Anna Maria 1526-1589 sup id="back-269-66">(66), die Gemahlin Herzog Christophs von Württemberg gerichtet ist, schreibt Schnepf, daß die vorliegende Arbeit für die Laien gedacht sei, die durch die Lektüre seiner Schrift zur Erkenntnis des evangelischen Glaubens kommen sollten. In der Tat enthält das Büchlein Darstellungen der wichtigsten Unterscheidungslehren, nämlich: Glauben und gute Werke, Heiligenverehrung, Messe und Abendmahl, Fegfeuer, Fasten, Klostergelübde, Priesterehe, Ohrenbeichte und Primat des Papstes. Die "Confession" ist die größte, im Druck erschienene Arbeit von Schnepf. Die Veröffentlichung wissenschaftlich-theologischer Schriften scheint er nämlich nicht als seine Aufgabe angesehen zu haben. Die Theologen sollten vielmehr, wie er in dem Widmungsschreiben an Herzogin Anna Maria sagt, lernen "von den theüren helden D. Martin Lauther/ Melanchthon/ Pomerano/ Brencio/ Justo Jona/ Crucigero/ Urbano Regio/ Bucero/ Osiandro/ Capitone/ Hedione/ und vilen anderen/ an allen orten frummen gelerten und hochverstendigen/ denen ich die schuch riemen auffzulösen nit wirdig bin".(67)
6: Professor an der Universität Tübingen
Man muss annehmen, dass Widerwärtigkeiten, wie die erwähnten Klageschriften und die Untersuchung wegen seiner Predigt, Schnepf Leben einigermaßen erschwert haben, so dass es verständlich ist, wenn er mit dem Gedanken umging, seinen schwierigen Posten mit einem anderen zu vertauschen. Da sein Verhältnis zu Blarer im Grunde korrekt war, ergab sich durch dessen Entlassung 1538 keine grundsätzliche Veränderung von Schnepfs Position. Allein die große Arbeitslast und die vielfältigen Anfeindungen dürften Schnepf veranlasst haben, sich anderwärts nach einer Stellung umzusehen. Die Gelegenheit ergab sich, als in Tübingen durch den Tod von Paul Konstantin Phrygio am 1. August 1543 ein Lehrstuhl frei wurde.(68) Am 1. Februar 1544 wurde Schnepf vom Senat der Universität auf Empfehlung des Herzogs als Ordinarius der Theologie an der Stelle von Phrygio angenommen.(69)
Der Senatsbeschluss war offensichtlich der Schlusspunkt längerer Verhandlungen, in deren Mittelpunkt wohl die Bedenken der Universität wegen der fehlenden Doktorpromotion Schnepfs standen. Schnepf hatte sich deswegen um Fürsprache bei der Universität an den Herzog gewandt(70) und dargelegt, dass er in Heidelberg nach der Promotion zum Magister artium fünf Jahre in der Theologie zum Doktorat vorbereitet und disputiert und alle erforderlichen Übungen absolviert habe und auch zum Bakkalaureus in der Theologie promoviert worden sei. Er konnte ferner auf seine sechsjährige Lehrtätigkeit in Marburg verweisen, wo er die Pflichten eines Ordinarius versehen hatte. In Anbetracht dieser Umstände bat Schnepf darum, da er "mit vil cleinen kindlin von got begabet" war und deshalb "mit geringerem kosten" den "gradum doctoralis" zu erlangen suchte, mit bereits vorhandenen Doktoranden in Kürze promoviert zu werden. Der Senatssitzung vom 1. Februar 1544 lag das erbetene Empfehlungsschreiben des Herzogs wegen Schnepfs Promotion bereits vor; Rektor und Ordinarien der Universität beschlossen daher, dass er mit einigen "doctorandis juris" demnächst promoviert werden solle. Diese Promotion Schnepfs fand dann am 19. Februar 1544 statt.(71)
Mit Schnepfs Promotion, d.h. mit dem vom Promovierten zu veranstaltenden Promotionsmahl hängt sehr wahrscheinlich ein Pasquill auf Schnepf zusammen, das den Titel trägt "Ein evangelisch fastenimbis, welchen ein evangelischer praedicant Er. Sch. zu Tüwingen in der fasten ettlichen evangelischen brüedern in ihrer evangelischen lieb gegeben hat, darvon ain gut exempel aines newen evangelischen haillosen lebens ein christenmensch abnemen mag".(72) Es steht wohl außer Zweifel, dass mit "Er. Sch." Erhard Schnepf gemeint ist; die Annahme, dass es sich bei dem "fastenimbis" um Schnepfs Promotionsmahlzeit gehandelt hat, gründet sich vor allem darauf, dass Schnepf, der mit einigermaßen beschränkten Mitteln haushalten musste, sicher nicht ohne Grund ein Essen mit sechs Gängen gegeben hat. Als Anlass dafür kommt während seiner vierjährigen Tübinger Tätigkeit eigentlich nur die Promotion in Frage, da eine solche Mahlzeit statutengemäß vorgeschrieben war(73) und Schnepfs Promotion tatsächlich in die Fasten fiel.
Auf Schnepfs Tübinger Lehrtätigkeit wird bereits durch jene Senatssitzung, bei der man seine Annahme als Professor beschloss, etwas Licht verbreitet. Es wurde damals nämlich seinem Antrag zugestimmt, aus den Nachlass seines Vorgängers Phrygio zwei Bände hebräischer Kommentare "iusto precio" erwerben zu dürfen.(74) Mit diesen Werken scheint sich Schnepf wohl eine Grundlage für seine Vorlesungen beschafft zu haben. Nach dem Beschluss des Senats war er nämlich verpflichtet, an allen Tagen, an denen gelesen wird, selbst Vorlesungen zu halten. Dieser Lehrverpflichtung dürfte Schnepf baldmöglichst nachgekommen sein, denn die Zahlung seines Gehalts sollte mit dem Quartal "cinerum", also am 17. Februar beginnen. Dieses Gehalt belief sich auf 160 Gulden, also erheblich weniger, als er in Stuttgart erhalten hatte.(75) Doch sind zu diesem Professorengehalt noch Einkünfte als Pfarrer an der Stiftskirche zu Tübingen hinzuzurechnen.
Schnepfs Tübinger Tätigkeit war wohl fast ebenso vielschichtig wie die in Stuttgart. Neben der Professur hatte er ja auch noch die Pfarrei zu versehen, außerdem war er einer der beiden Superattendenten oder Vorsteher des Stifts, das 1547 in das Augustinerkloster einziehen konnte.(76) Von Schnepfs Lehrtätigkeit ist ansonsten wenig bekannt. Gerühmt wird später seine Kenntnis des Hebräischen.(77) Als ein Nachklang von Schnepfs akademischer Tätigkeit ist deshalb wohl ein seit 1571 in Tübingen herausgegebener Psalmenkommentar(78) anzusehen, der vermutlich auf Vorlesungen zurückgeht, die Schnepfs Sohn Dietrich 1525-1586 gehalten hat, der seinerseits die Aufzeichnungen seines Vaters benutzte.
Auch von Tübingen aus hat Schnepf an kirchenpolitischen Aufgaben mitgewirkt. Am Vorabend des Schmalkaldischen Kriegs nahm er noch an dem Regensburger Religionsgespräch 1546 teil. Während dieses Gesprächs lief am 26. Februar die Nachricht vom Tode Luthers ein, worauf Georg Major 1502-1574 Brenz und Schnepf, wie ein Teilnehmer berichtet, durch Weinen offen ihren Schmerz über den Tod ihres Lehrers und Vaters zeigten, so dass an diesem Tage nichts beraten werden konnte.(79)
Auf das Religionsgespräch in Regensburg folgte der Reichstag(80), der ebenso ergebnislos blieb wie die Verhandlungen der Theologen. Die Gerüchte von den Rüstungen des Kaisers und des Schmalkaldischen Bundes hatten zu einem Spannungszustand geführt, der sich schließlich im Handstreich auf die Ehrenberger Klause entlud. Die Schmalkaldener nutzten freilich diesen Präventivschlag nicht aus, der Kaiser hatte Zeit, seine Rüstungen zu vervollständigen, und so begann der wochenlange ereignislose Abnützungsfeldzug an der Donau, der mit dem Abzug der hessischen und sächsischen Kontingente bei Einbruch des Winters sein Ende fand. Ganz Oberdeutschland stand nun dem Kaiser offen, dessen spanische Truppen Ende Dezember 1546 von Norden her Württemberg besetzten. In Marbach hausten die Soldaten des Kaisers in der Weihnachtszeit drei Tage lang auf so unmenschliche Weise, dass aus den südlicheren Landesteilen vor allem Pfarrer und Beamte flohen, da sie besonders der Grausamkeit der Spanier ausgesetzt waren.(81) Von den Stuttgarter Geistlichen blieb nur noch der junge Jakob Andreae zurück, wie er selber in seiner Lebensbeschreibung nicht ohne Stolz vermerkt.(82)
Erhard Schnepf floh mit anderen Angehörigen der Universität nach Konstanz, wo ihm Aufenthalt gewährt wurde: "Doctor Erhard Schnepff ist uff vorgestert herkommen von Tubingen, wartet all stund seiner weib und kind, begert hie underschloff, der ime ouch bewilliget worden, sagt von grossem jomer." Es ist Ambrosius Blarer, dem wir diese Nachricht verdanken, und er berichtet mit großem Mitgefühl von dem Unglück, das das Land Württemberg betroffen hatte.(83) Schnepf wird wohl nach Abschluss des Heilbronner Vertrags, durch den Anfang Januar 1547 die Unterwerfung Württembergs besiegelt wurde, wieder nach Tübingen zurückgekehrt sein.
Die nachfolgenden Monate waren eine Zeit der Ruhe, bevor sich ein neuer Sturm erhob. Auf dem Reichstag zu Augsburg hatte der Kaiser am 15./16.Mai 1548 den Ständen eine Kirchenordnung publizieren lassen, die alsbald die Bezeichnung Interim erhielt, weil sie interimistisch, bis zu einem Ausgleich des religiösen Zwiespalts, für die evangelischen Stände gelten sollte. In Wort und Schrift zogen die evangelischen Theologen gegen das Interim zu Felde. Auch Erhard Schnepf hat sich dabei an vorderster Stelle beteiligt, was alsbald an die Ohren des kaiserlichen Kanzlers Nicolas Perrenot de Granvelle 1484-1550 und seines Sohnes Antoine Perrenot de Granvelle 1517-1586 des Bischofs von Arras, drang, die sich in Augsburg bei den württembergischen Gesandten darüber beschwerten.(84) Der Herzog instruierte daraufhin seine Vertreter beim Reichstag am 26. Juli dahingehend, dass er allen Predigern, insonderheit Schnepf jegliches Schelten gegen das Interim verboten habe.
Wenige Tage zuvor, am 19./20. Juli, war ein Befehl an die Amtleute ergangen, am folgenden Sonntag das Interim auf den Kanzeln verkünden zu lassen, wobei sich die Prediger jeglicher Polemik dagegen enthalten sollten. Diese Verlautbarung änderte an den bestehenden Verhältnissen zunächst nichts, sie war lediglich darauf berechnet, den Kaiser zu beruhigen. Dieser gab sich aber damit nicht zufrieden, er wollte das Interim tatsächlich ins Werk gesetzt sehen. Der Bischof von Arras erklärte den herzoglichen Gesandten in Augsburg, die ihm die in Württemberg getroffenen Maßnahmen erläuterten, "solchs were nit gnug, sonder wa je e.f.g. und die ihre nitt widerumb zu der alten kirchen treten wölten, so were von nöten, das das interim würklich angericht und dem zu geleben durch die predicanten fleißig und mitt ernst geprediget werde"(85). Dies war deutlich genug. Schließlich wurde auf Sonntag 11. November 1548 für ganz Württemberg die Feier der Messe angeordnet und zugleich allen evangelischen Geistlichen, die dem Interim nicht folgen wollten, gekündigt. Diese allgemeine Entlassung von 300-400 Pfarrern betraf auch Erhard Schnepf, der am 11. November in Tübingen seine Abschiedspredigt hielt. Er konnte aber noch einige Wochen am Ort bleiben; der Herzog befahl am 24. November der Universität von Urach aus, Schnepf nur mit einer "stattlichen vererung", einer Abfindung also, zu entlassen.(86)
7: In Jena
Wie mancher andere auch, den dasselbe Schicksal betroffen hatte, bediente sich Schnepf jetzt alter Verbindungen, um einen Unterschlupf zu finden. Zunächst nahm ihn Eberhard von Gemmingen auf sein Schloß Bürg bei Neuenstadt am Kocher auf.(87) Die nächste Station war Lohr am Main in der Grafschaft Rieneck, wo er von Johann Ulmer, dem dortigen Pfarrer, für drei Monate freundlich aufgenommen wurde.(88) Dankbar dachte er später dankbar an die Zeit "in Francis" zurück.
Während Schnepf in Lohr weilte, hatte Melanchthon - wie schon zehn Jahre zuvor - sich um eine Stelle für ihn umgesehen. Am 9. Februar 1549 konnte er Schnepf Aussichten auf Anstellung in Zwickau, Rostock oder in Kopenhagen eröffnen.(89) Zudem lud er ihn ein, einstweilen in seinem Hause in Wittenberg Wohnung zu nehmen. Durch die Vermittlung des Grafen Philipp III. von Rieneck wurde Schnepf jedoch von den jungen sächsischen Herzögen aufgefordert, nach Jena zu kommen. Dort warteten neue Aufgaben auf ihn, die denen in Württemberg kaum nachstanden. Der in der Schlacht von Mühlberg 1547 in die Gefangenschaft des Kaisers geratene Kurfürst Johann Friedrich I. 1503-1554, reg. 1532-1547 aus der ernestinischen Linie des sächsischen Herzogshauses hatte mit der Kurfürstenwürde auch einen großen Teil seines Landes, darunter Wittenberg mit seiner Universität an den Vetter Moritz von der albertinischen Linie abtreten müssen. Die Söhne Johann Friedrichs, die für den gefangenen Vater die Regentschaft führten, strebten daher an, auf dem ihnen verbliebenen Territorium, in Jena, eine eigene Hochschule zu gründen. Der erfahrene Schnepf erschien ihnen der geeignete Mann, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Schon im Sommer 1549 begann er als Lektor des Hebräischen und zog alsbald einen großen Hörerkreis an sich. Neben der Aufgabe eines Professors der Theologie wurde ihm schließlich noch das Pfarramt an der Stadtkirche St. Michael und die Superintendentur Jena übertragen.
Die Stellung Schnepfs in Jena war keinesfalls leicht, vielmehr war sie davon gekennzeichnet, daß sich der politische Gegensatz zwischen dem albertinischen und dem ernestinischen Sachsen je länger je mehr auch auf theologischem Gebiet auswirkte. Die Jenaer Theologen sahen sich als die wahren Erben Luthers, die die Wittenberger unter der Führung Melanchthons verdächtigten, namentlich in der Abendmahlslehre von Luther abzuweichen. Zwar hat sich Schnepf an den Streitigkeiten nicht in vorderster Linie beteiligt, doch konnte und wollte er sich auch nicht von seinen Kollegen und seinem Landesherrn distanzieren. Es trat so eine Entfremdung zwischen Melanchthon und Schnepf ein, die sich recht gut an dem immer geringer werdenden und schließlich aufhörenden Briefwechsel ablesen läßt.
Aber auch Schnepfs Verhältnis zu den Württembergern, zu dem alten Freund Brenz und seinem Schüler Andreae(90), kühlte sich ab. Auf dem Religionsgespräch zu Worms 1557(91), das eigentlich veranstaltet wurde, um Lutheraner und Katholiken zu vereinigen, kam es nämlich zu einer heftigen Auseinandersetzung unter den Lutheranern. In diesem Streit, der schließlich zum Abbruch des Kolloquiums führte, standen Schnepf und seine Kollegen auf der einen, sein Sohn Dietrich, Brenz, und Andreae auf der anderen Seite. Deutlicher kann die Vereinsamung, in die Erhard Schnepf auf seine alten Tage geraten war, nicht gekennzeichnet werden.
1557 war Schnepf Rektor der Jenaer Hochschule(92); am 1. Februar 1558 konnte er noch die feierliche Eröffnung der Universität miterleben, an der er als erster Dekan der Theologischen Fakultät wirkte. Schnepfs letzte Lebensmonate waren noch belastet durch die Berufung von Matthias Flacius nach Jena, der in seinem Eifer um die Reinhaltung der lutherischen Lehre auch nicht vor seinen Kollegen haltmachte. Fern von seinem "vatterlande" und "nach so vilfeltiger und beschwerlicher wandelung und raisung", um die Worte seines Schreibens nach Heilbronn aus dem Jahr 1532 zu gebrauchen, starb Schnepf am 1. November 1558, seinem 64. Geburtstag, und wurde am folgenden Tag in der Stadtkirche zu Jena beigesetzt. An ihn erinnern heute noch ein Grabstein und ein gemaltes Epitaph.
8: Resümee
Unter den Reformatoren nimmt Erhard Schnepf einen zweiten Rang ein; so hat er sich auch selber gesehen. Er war ein Mann des Wortes, nicht der Feder. Er wirkte deshalb unmittelbar durch seine Persönlichkeit, seine Predigt- und Lehrtätigkeit, nicht durch Schriften. Von seiner wissenschaftlichen Arbeit, seiner Kenntnis der Sprachen, namentlich der hebräischen, ist deshalb kein direktes Zeugnis überliefert. Seine Rednergabe wurde allgemein gerühmt, sie kam ihm in Predigt und Lehre zustatten. Es ist auch davon wenig auf die Nachwelt gekommen, so dass seine Theologie nur in Umrissen sichtbar ist. Seine Zugehörigkeit zu den Syngrammatisten und die Stuttgarter Konkordie kennzeichnen ihn als Lutheraner, der freilich auch zur Zusammenarbeit mit Blarer fähig und bereit war, wobei die Schaffung klarer Verhältnisse eine wichtige Voraussetzung darstellte. Damit hängt zusammen die Offenheit und Geradheit seines Charakters, die einherging mit der Loyalität gegenüber seinen Dienstherren und seinen jeweiligen Aufgaben. Dies ist der Grund dafür, dass ihn drei Fürsten über fast drei Jahrzehnte auf Reichstage und zu Religionsgesprächen sandten, weil er seinen Standpunkt klar, unmissverständlich und verlässlich zu vertreten wusste.
Trotz seiner Loyalität gegenüber seinen fürstlichen Dienstgebern war Schnepf im Zeitalter des beginnenden Staatskirchentums darauf bedacht, das eigene Recht des evangelischen Kirchenwesens gegenüber dem Landesherrn und seinen Beamten zu wahren, wobei er frei von Rücksichten auf der Trennung von theologischen und weltlichen Kompetenzen bestand. Offenbar sah er in seiner Jenaer Zeit dieses Anliegen bei den dortigen Gnesiolutheranern besser gewahrt, so daß er deren Partei ergriff, wenn es ihn auch sicher schmerzte, dass die alten Gefährten ihn offenbar in einem anderen Lager sehen mussten.
Die Bedeutung von Erhard Schnepf liegt in der Wichtigkeit der Aufgaben, die ihm gestellt, und in der Art, wie er sie gelöst hat. Als Lehrer und Prediger an drei Universitäten hat er ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung des evangelischen Pfarrstandes geleistet. In Marburg und Jena handelte es sich um eigens gegründete evangelische Universitäten, die er half in Gang zu bringen. In Tübingen war er in einer kritischen Phase der reformatorischen Umbildung von Universität und Fakultät. Als Schnepfs bedeutendstes Werk muss aber seine Mitwirkung bei der Reformation des Herzogtums Württemberg gesehen werden. Während er im Interim aus dem Lande weichen musste, wurde die junge evangelische Kirche Württembergs auf eine schwere Probe gestellt. Diese zu bestehen wäre nicht möglich gewesen, wenn der evangelische Glaube nicht schon in den Herzen Wurzeln gefasst hätte. Dies wiegt schwerer als die Tatsache, dass diese Kirche organisatorisch noch unfertig war und erst nach dem Interim ihre charakteristische Ordnung erhalten konnte. Darüber hinaus bildete die Reformation des Herzogtums Württemberg einen wichtigen Wendepunkt der Reformationsgeschichte insgesamt, der zu einem nicht geringen Teil das Werk von Erhard Schnepf war.
Aktualisiert am: 19.03.2018
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