Konrad Sam und die Reformation in Ulm

Von: Konrad Hoffmann

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Sams Werdegang
  2. Erste Jahre in Ulm
  3. 2: Auf dem Weg zur Reformation in Ulm
  4. Anhang

Ulmer Münster

Fotografin: Gelga Glassner. Aus: Zehn Deutsche Dome, Berlin 1939, S. 193.

Im Mai 1524 gab es in der Reichsstadt Ulm einen Anlass für evangelisch gesinnte Bürger, sich über die vorsichtig schwankende Haltung ihrer Stadtregierung in Religionssachen aufzuregen.(1) Vier angesehene Bürger, die sich lutherisch nannten, darunter ein Ratsherr, wandten sich an den Rat mit einer Bittschrift, um Schutz vor den Mönchen und ihren Angriffen, den "reißenden Wölfen" zu erhalten. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wie stark diese Fragen die Gemüter der Bevölkerung bis in tiefe Schichten bewegten. Das können wir schon an dem Zulauf der Versammlungen und an der ständigen Sorge des Rats um Unruhen und geradezu Angst vor Gewalt ablesen. Ihr bemerkenswert demütiges Schreiben endete in der Bitte um Gewähr friedlicher Zusammenkünfte der Evangelischen. Und sie beriefen sich auf den Reichstagsabschied von Nürnberg und dessen Aussicht auf ein Konzil mit der Weisung, bis dahin nichts zu predigen als "die Heilige approbierte Schrifft, das ist göttlich biblisch geschrifft, nit der Esopus (Fabeln)".(2) Diese Formulierung erschien in den Schriften der nächsten Jahre fast wörtlich immer wieder. Der Rat erwiderte entgegenkommend und handelte einmal rasch: Keine drei Wochen später ließ er am Veitstag, 15. Juni 1524 Konrad Sam, der in Ulm bekannt war, drei Probepredigten halten. Wenige Tage später erhielt er eine Anstellung als des Rats Prediger mit genauen Anweisungen und der Klausel, daß der Rat ihn "beurlauben" könne, wann er wolle. Sein Predigen sollen morgens um 6Uhr beginnen, "alsdann soll man unser Frauenmeß uberstan. Und soll zu unser Frauenmeß mit geleret werden."(3) Es war also festgelegt, daß die Messe ohne konkurrierende Predigt stattfinden sollte. Zwei Gottesdienste, also keine Entscheidung über eine Veränderung der Kirchenordnung im Sinne der Reformation, jedoch eine strenge Weisung, sich an die bloße Schrift zu halten und den Frieden nicht zu stören. Das ihm zugewiesene Barfüßerkirchle der Franziskaner auf dem Münsterplatz erwies sich schnell als zu klein.

Diese Berufung Sams, die von Ulmer Bürgern, unter anderen vom Stadtarzt Wolfgang Rychard, dem bedeutenden Wortführer der Humanisten in Ulm, lebhaft unterstützt wurde, fiel in eine wichtige Lebensphase des über Vierzigjährigen. Er hatte seit 1513 die Stelle einer seinerzeit neu gestifteten Prädikatur in Brackenheim im Zabergäu inne, wozu sein an der Universität erworbener Titel eines Licentiaten der Rechte die Voraussetzung war. Das württembergische Städtchen war durch die Vertreibung von Herzog Ulrich unter vorderösterreichische Regentschaft gekommen, und die Österreicher duldeten nichts Evangelisches im Land. Gut belegt ist die Begebenheit, dass der Bote des Ulmer Rats Konrad Sam um eine Stunde in seiner Behausung verfehlte, dieser war gerade in Richtung Reutlingen - Ulm weggeritten. Doch ehe wir die Lage, in die er kam, und sein Wirken betrachten, soll gefragt werden: Wer war, und woher stammte Konrad Sam?

1: Sams Werdegang

Sein Name begegnet in Texten und Briefen in der mundartlichen Form Saum - Som, latinisierend Somius oder gräzisierend Spriander = Same Er wurde in Rottenacker bei Ehingen/Donau geboren, das zum württembergischen Blaubeurer Amtsgebiet gehörte.(4) Von seinen Gegnern - aber auch von anderen - wurde er gern "der Rothenacker" genannt. Die wenigen Angaben über seine Herkunft geben Rätsel auf: Das Geburtsjahr 1483 und der Geburtsort Rottenacker sind gesichert; von seinen Eltern wissen wir nichts. Dafür aber ist belegt, dass Sam einen Stiefbruder in Ulm hatte, nämlich der angesehene Bürger Sebastian Fischer, der Schuhmacher und Zunftmeister war, und Vater des noch bekannteren Sebastian Fischer, der die Chronik "besonders von Ulmischen Sachen" geschrieben hat, die eine wichtige Quelle für viele Zeitgeschehnisse, auch im Blick auf Sam, darstellt. Fischer schreibt, dass sein Vater in Ulm geboren wurde, und zwar am Sebastianstag des Jahres 1483, und dass Konrad Sam seines "vatters bruder" sei. Die näheren Umstände dieser zeitlich so nahen Verwandtschaft erklärt er nicht.(5) Nur dass Sam eine Schwester Grethe, verheiratete Stocker hatte, die in Rottenacker lebte und in späteren Jahren beim Bruder in Ulm. Anzunehmen wäre somit Konrads Geburtstag am Ende des Jahres 1483, in der Nähe des Geburtstags von Martin Luther 1483-1548

Die erste Schulzeit verbrachte er in der Lateinschule im nahen Munderkingen, die spätere in Ulm, wo er wie sein aus Leutkirch stammender, berühmt gewordener Mitschüler Johann Faber = Fabri, 1478-1541 auch Singschüler im Münster war und "manche Gutheit genoß".(6) Seine gesellschaftliche Herkunft ergibt sich aus der Beziehung zur Familie Fischer, beide, Vater und Sohn, waren Mitglieder der Zunft der Schuhmacher.

In die Matrikel der Universität Tübingen hat sich im Jahr 1498 ein "Conradus Som de Munderkingen" eingetragen; mit 15 Jahren also nahm Sam seine Studien auf, was für damals nicht ungewöhnlich war. Dass Munderkingen als Heimatort angegeben ist, braucht nicht zu verwundern, war diese Stadt doch durch ihre geachtete Lateinschule für Tübingen bekannter als Rottenacker. Absolut gesichert ist seine Identität jedoch nicht. Sieben Jahre später, 1505, erscheint sein Name in den Matrikeln der Universität Freiburg, wohin manche Oberdeutsche zogen. Im selben Jahr wurde der Ehinger Jakob Locher dorthin berufen, der wie Jakob Wimpfeling 1450-1528 und Ulrich Zasius 1461-1535 beide Humanisten und Poeten, für Sam wichtige Lehrer wurden. 1509 war Sam wieder in Tübingen, wo er den Licentiatentitel der Rechtswissenschaften erwarb, mit dem die Berechtigung zum Predigerdienst verbunden war. Darauf Bezug nehmend wurde er von Gegnern meist als Kanonist bezeichnet. Er wird bis zu seinem nächsten bekannten Lebensabschnitt nicht nur studiert haben; das Studium war teuer.

Im Jahr 1513 hatte ein wohlhabender Priester in Brackenheim im Zabergäu namens Emhard eine Prädikantenstelle gestiftet, die mit 100 Gulden dotiert war und bestimmte Auflagen hatte: es sollte sowohl gepredigt wie die Messe gelesen werden. Konrad Sam erhielt diese Stelle und quittierte in Brackenheim im Dezember 1518 für 80 Gulden. Er muß dort recht früh die Botschaft aus Wittenberg vernommen und sich für Luther entschieden haben, denn bald hatte er mit Gegnern zu kämpfen. Die Bauernunruhen jener Jahre im Zabergäu, die bald scheiterten, haben ihn auch berührt. Obwohl er mit den sozialen Forderungen der Bauern sympathisierte, hat er später ihre Ausschreitungen kritisiert.

Durch Johann Gayling aus dem nahen Ilsfeld wurde Luther in jener Zeit auf ihn aufmerksam, und als er hörte, Sam gedenke wegzugehen, schrieb er ihm im Oktober 1520 ein Ermutigungsschreiben, das als erster Brief Luthers nach Württemberg eine gewisse Berühmtheit erlangte.(7) Einige Sätze aus diesem Brief seien angeführt: "Ja, wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu ringen, sondern mit bösen Geistern, die im Himmel diese finsteren Umtriebe leiten. Lasst uns daher standhaft bleiben ... So, streiten wir auch nicht in unseren, sondern des Herrn Kriegen. Darum seid tapfer und stark! Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein! ... Hierdurch habe ich Euch und mich zugleich ermahnen wollen, daß, wenn der Geist, der Gewalt hat, über Euch herfährt, Ihr Euren Platz nicht verlasset..."(8) Sam hat seinen Platz noch vier Jahre gehalten, bis er vertrieben wurde.

An den Ereignisses des Jahres 1524 fühlt sich Johann Eberlin 1568-1533 Franziskaner aus Günzburg und Verfasser reformatorischer Schriften, mitbeteiligt. Er sei als Flüchtiger drei Stunden bei Sam gewesen. Dies habe sein Kollege, der Pfarrer an der Johanniskirche, angezeigt. Der dortige Vogt Uriel Epp, "ein Mameluk", wie Eberlin schreibt, habe Sam noch nach einem Jahr beschuldigt, einem Gefangenen der Bauernunruhen zur Flucht verholfen zu haben.

Erste Jahre in Ulm

Sam war also auf der Flucht und nichtsahnend bei seinem Stiefbruder in Ulm eingetroffen. Wenig später war er des Rats Frühprediger mit der eingangs geschilderten Weisung. Er sollte also seine Gemeinde auf friedliche Wege und zum Gehorsam gegen die Obrigkeit leiten und alle Polemik vermeiden. Ob sie dafür den Richtigen ausgewählt hatten? Eine solch tiefgreifende Veränderung, die von der innersten religiösen Gesinnung bis in die gewohntesten Lebensformen reichte, man denke allein z.B. an die Beichtpraxis konnte unmöglich ohne Spannung nur auf abgeklärter hoher Ebene und mit der stets wiederholten Vertröstung auf ein Konzil vor sich gehen. So war es kein Wunder, dass die Polemik mit Altgläubigen bald weiterging, vor allem mit dem Dominikaner Peter Hutz gen. Nestler 1488-1540 der nicht nur mit Beschimpfungen, sondern auch mit Argumenten focht. Schon im Herbst 1524 stellte der Bürgermeister, der altgläubig gebliebene Patrizier Ulrich Neidhardt die Frage, ob man dem Prediger gestatten könne, dermaßen die Gebräuche in der Kirche anzutasten; riskiere damit für die Stadt die kaiserliche Ungnade. Damit war die stets vorhandene politische Brisanz der Konsequenzen genannt, die jahrelang besonders die Reichsstädte begleiten sollte. Sam wurde vor den Rat bestellt. Ihm wurde vorgehalten, man könne ihn jederzeit entlassen, man wolle ihn gegen einen Einspruch des zuständigen Konstanzer Bischofs nicht decken. Worauf Sam ebenfalls mit einem später wiederholten Vorbehalt antwortete, der ihm abgenommen wurde: Er sagte "...das er die Gepräuch ain zeitlang sovil das wort Gots erleiden mag, nit anfechten will." Am Ende wurde er doch gedeckt, und Nestler 1525 ausgewiesen. Auch die Klage des "plebanus", des Münsterpfarrers Sebastian Löschenbrand gest. 1526 sein Wirken stünde in Gefahr, und sowohl sein wie seiner Helfer Einkünfte aus Beichte und Kommunion seien im Schwinden, fand keine Berücksichtigung. Sams lapidare Antwort auf wiederholte Warnungen: Er wolle nach dem Befehl Christi davonziehen, wenn er Gott ungehorsam werden müsse.

Zwei Jahre später, 1526, veränderte sich das Bild wesentlich: Der Reichstag zu Speyer eröffnete mit seiner Formulierung, jeder Reichsstand solle es in Glaubenssachen bis zum nächsten Konzil so halten, wie er es gegen Gott und den Kaiser verantworten könne, die Möglichkeit zu weiteren Reformen. Sam beispielsweise gab das Zölibat auf und ließ sich nun mit "Elsbetha aus Bayern" trauen. Die Ehe blieb kinderlos. Der Rat wurde nun auch entschiedener im Vorgehen gegen die Mönche der Stadt. Eine weitere Veränderung ergab sich 1526 durch den Tod des für die Stadt samt ihres Territoriums leitenden Pfarrers Sebastian Löschenbrand; seine Stelle verwaiste, er blieb ohne Nachfolge. Sam, der Prediger des Rats, erhielt dadurch faktisch zusätzliche Aufgaben und mehr Autorität.

Schließlich wuchs sich ein Streitfall grundsätzlicher Natur zu einer Zerreißprobe für die Stadt und ihren Prediger aus: Es ging um die Abendmahlsauffassung und die Entscheidung, ob man Ulrich Zwinglis 1484-1531 oder Luthers Sicht folgen solle. Im Jahr 1526 erschien eine Druckschrift - niemand wollte ihre Veröffentlichung autorisiert haben! -: "Ain schöner und wolgeteutschter Bericht für den gemeinen Menschen, ob der Leyb Jesu Christi im Himel zu der Gerechten Gottes zu Eren und im Geist zu suchen, oder auff Erden im Brot wesentlich zu verhoffen sey ec. Gepredigt zu Ulm durch den Predicanten im Münster mit gutem Verstand ec. 1526". Die Schrift gibt Rätsel auf: Sam verteidigte sich in einem Brief an seinen Freund Johannes Schradin in Reutlingen, der scharf gegen dieses Büchlein geschrieben hatte: Er habe es weder drucken lassen noch stammten die darin enthaltenen Predigten von ihm. Andererseits jedoch schickte Sam die Schrift an Zwingli, der dem Inhalt seine volle Zustimmung gab. Die Darlegungen, mit zahllosen Bibelstellen am Rand versehen (von wem?) , wiederholten fast monoton und mit geringer Gedankengliederung die Grundthese: In der Schrift, dem einzig geltenden Maßstab, gebe es weder Sakrament noch Altar. Grundlage der Bedeutung des Abendmahls sei gemäß 1. Kor. 11: die Danksagung, das Gedenken, die Gemeinschaft und die Verkündigung. Dies wird in umständlicher Disputation mit einer unbenannten, mit "N." bezeichneten Person vorgetragen; allerdings sind die Ausführungen eindeutig. Die Sache selbst hat Sam später in seinem "Trostbüchlein", das den Streit beenden und mildern wollte, nicht anders vertreten. Die unmittelbare Folge für ihn waren scharfe Gegenschriften und zerbrochene Freundschaften, andrerseits die Zustimmung und immer engere Verbindung mit Zwingli, die erst mit dessen Tod endete.

Ein gefährlicher Angriff auf Sam kam von Dr. Johannes Eck 1486-1543 der auf der Durchfahrt, wie er meldete, in Ulm eine "greuliche predigt von dem Rottenacker", dem "seelenmörderischen Ketzer und hergelaufenen Buben" gehört und darauf dessen Absetzung betrieben habe. Der Rat antwortete nicht, bestellte aber Sam wieder vor, sprach ihm zu und drohte zugleich. In Sams Antwort steht der Satz, "Gott spricht durch den Propheten Jesaja: Schry und hör nit auff ...". Im übrigen wiederholte Sam seine Bereitschaft, zu gehen. Nach einem Gerangel mit Eck um einen neutralen Disputationsort, reist Sam mit starkem Geleit nach Bern, wo eine große Aussprache über drei Wochen vor allem die Schweizer voran brachte. Eck hatte Zwingli, "dem Verworfenen, Abtrünnigen vom Glauben, vermaldedeiten Ketzer und Gotteslästerer" abgesagt. Sam hat dabei in Bern und hinterher in Zürich eine Predigt gehalten, die gedruckt erhalten ist. In einem wichtigen Nachgespräch mit Zwingli und Ambrosius Blarer haben die beiden ihn für ihre civitas Christiana, das sog. Burgrecht, im Zusammenhang mit den oberdeutschen Städten zu gewinnen gesucht. Zwingli schrieb ihm hinterher von ihrer Freundschaft: "Lebe wohl und sei überzeugt, dass Zwingli, einst durch eiserne Ketten an Dich geknüpft, jetzt in vollem Vertrauen auf Deine gute und wohlwollende Gesinnung durch Diamantene Fesseln an Dich gebunden ist".

Die folgenden zwei Jahre bis zum Augsburger Reichstag 1530 waren für Sam dem Aufbau im Innern gewidmet. Er gab mit dem neugewonnenen Leiter der Lateinschule Michael Brodhag eine "Christliche Unterweisung" heraus, d.h. einen nicht nur für Kinder geschriebenen Katechismus, der in der Literatur als einer der bedeutendsten nach Luthers Katechismus gilt. 1529 folgte ein Gesangbüchlein, das leider verloren ist, und ein deutscher Psalter in Gebetsform. Beides zusammen bildet eine Grundausstattung evangelischen Lebens.

Doch in Glaubensfragen rückte während des Reichstags in Speyer 1529 die Reichspolitik wieder in den Vordergrund. Am Ostertag sprach Sam die Politik der Stadt deutlich an. Seine Zuhörer sollten die Personen in den Rat wählen, die der Ehre Gottes und seinem Wort den Vorzug geben. Aber auch innerstädtische Fragen standen nun vor Disputen mit den "Päpstlern": Sorge für die Schulen, für das arme Landvolk und anderes. Die Protestation von Speyer 1529, an der sich Ulm beteiligte und damit Position bezog, schien der Sache der Reformation zu dienen, aber das Scheitern des Schmalkaldischen Bundes ergab wieder einen Rückschritt. Man forderte Sam zu einem Gutachten über "die Schwabacher Artikel" und Martin Bucers 1491-1551 Gegenartikel aus. Dies zeigt, dass er nun in den Augen des Rats für die Religionssachen zuständig war. Sam versah die Sätze der Artikel mit daneben geklebten Glossen, - sie sind in seiner feinen Handschrift im Ulmer Stadtarchiv zu lesen - und er würdigte und kritisierte Luthers und Bucers Thesen auf seine Weise. Beispielsweise hieß es zum Artikel über die Kirche: "Die Kirch bleibt gewiß. Wa sie aber heutt versammelt sey, das weis ICH nicht." Allein dieser Satz mag das vergröbernde Bild vom "Schreyer von Ulm" korrigieren, wie ihn seine Gegner betitelten; auch die bis in neuere Zeit anzutreffende Vorstellung vom "selbstsicheren Polterer" wird von daher obsolet. Das im Original mit Großlettern geschriebene ICH bleibt am Leser hängen.

Schon früher, 1525, wurde Sam als Gutachter gerufen: Von Memmingen, das der Schweiz näher stand und vorwärts drängte, war er zusammen mit Urbanus Rhegius 1489-1541 aus Augsburg benannt. Desgleichen hatten ihn die Bauern vorgesehen, um ihre zwölf Artikel zu bewerten, anscheinend ohne weitere Folgen.

2: Auf dem Weg zur Reformation in Ulm

Vogelschau auf den Münsterplatz von Ulm etwa um 1650, Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä.

Topographia Sueviae. Gemeinfrei.

In den meisten Erwähnungen von Sams Leben und Wirken wird das Wort von Frecht wiedergegeben, der ihn als "Stentor sane egregius" bezeichnet, wobei Homers "stentor" an seine mächtige Stimme denken lässt. Der weiterführende Zusatz in einem Brief an Ambrosius Blarer von Oktober 1533 gehört aber zu einer angemessenen Charakterisierung Sams hinzu: Frecht behauptete seine eigene geringe Fähigkeit, so zu predigen wie sein Vorgänger, sei ein schweres Joch oder Mangel, "in templo tam vasto", im so großen Münster, zu folgen "post optimum Somium, stentorem sane egregium, graciliter sonantem". Dies ist etwa so wiederzugeben: "Nach Sam, dem so sehr geschätzten, dem hervorragenden Redner mit seiner mächtigen Stimme und schlankem (hohem?) Ton". Jedenfalls war er ja nicht bloß der "Schreyer von Ulm", wie ihn sein "Intimfeind", der Chronist Thoman aus Weißenhorn bezeichnete, der seinen Tod folgendermaßen meldete: "Freytag nach Viti starb Conrad Rottenacker, dero von Ulm prediger und Selmorder, der wolt... zu aynem guten gesellen gann, da hat im Got der Almechtig das Glayt geben und sein gotlichen gwalt erzaygt und auff offener gassen gestrafft, und von Lewten so ungefarlich gesehen haben in ayn Hauß gefiert, da starb er von Stund an...".

Seine Predigten wurden oft nachgeschrieben; sein Neffe, der Chronist Sebastian Fischer, berichtet von hundert selbstgeschriebenen, die verlorengegangen seien. Von diesen überlieferte er Zitate in seiner Chronik. Wenn man das Trostbüchlein mitrechnet, liegen drei Predigten gedruckt vor. Am charakteristischsten ist wohl die in Bern gehaltene Predigt über die Heilungen und den Hauptmann von Kapernaum Mt. 8, 1-11 In ihr bietet Sam eine Betrachtung und Vergegenwärtigung Vers um Vers. Beispielsweise wird die Sorge des Hauptmanns um seinen Knecht im Gegensatz dazu vorgeführt, wie die Herrschaften heute mit ihrem Gesinde umgehen, oder seine Demut wird herausgestellt: "Ich bin nicht wert, daß Du unter mein Dach gehest..." Die "Summa" eines rechten "christenlichen Lebens, welche stadt in Glouben und Liebe..." in "Davids Ehebruch...", 2. Samuel, gibt es genug Gelegenheit zur Sittenpredigt, gerichtet an Hoch und Niedrig. Die Sprache ist voller volkstümlicher, anschaulicher Wendungen: David wird von Saul umgetrieben, "wie ain Grieb in einer pfannen". Welch ein Unterschied zu Martin Frecht!

Ein Gelehrter war Sam nicht, aber nicht unberührt von der humanistischen Bildung seiner Zeit. Seine Bibliothek war beträchtlich. Der Rat kaufte sie ihm 1533 gegen eine kleine Rente für seine Frau ab – hatte Sam schon eine Todesahnung? Sie enthielt viele von Luther geschenkte Schriften, natürlich auch die von Zwingli. Seine Glossen am Rand in seiner merkwürdig kleinzügigen Schrift zeugen von der intensiven Benutzung. Sein Briefwechsel mit den Reformatoren, vor allem Bucer und Zwingli korrigiert noch einmal die schon erwähnte Auffassung vom derben selbstsicheren Kanzelredner. Er ist offenherzig, fast bedürftig um Rat und Anlehnung bemüht. Zwingli befiehlt ihm geradezu, auzuharren, sich nicht zurückdrängen zu lassen. Im einzig erhaltenen Brief an Zwingli vom 22. Februar 1530 heißt es: Er misstraue seiner Überzeugungskraft gegenüber dem Ulmer "Oligarchen", er sei zu wenig verständig und beredt. An Bucer schrieb er am 1. Januar 1531: "Du hast mich vormals ermahnt, ich solle in der Sache Christi tapfer vorgehen, was ich auch zu tun angefangen habe." Oder später: "Hie hast Du, was Du verlangst... Ich fürchte Dich (Timeote), denn Du bist ein strenger Mann."

Wie Bernhard Besserer, der mit Sam - um einmal dessen bildhafte Sprache nachzuahmen - des Öfteren wie ein Leitpferd im Doppelgespann zusammenwirkte, über ihn dachte, sei hier ausführlich zitiert, weil es Grundsätzliches über das Verhältnis des Politikers zum Geistlichen enthält: Am 20. Juni 1538, genau fünf Jahre nach Sams Tod, schreibt Besserer an den Landgrafen Philipp von Hessen über des Rats "ersten und fürnemen Prädikanten": "Als verrückter jar Ainer meiner Herrn und Freund Ains erbarn Raths erster und fürnemer Predicant weiland Conrad Sam Licentiat selig welcher ain christenlicher gutherziger fromer Man und sein Leben in gutem Wandel, Ler und Lebens bis zu dem End beharrt, etlicher Irrthumb und Mengel dieselben abzutreiben die Oberkeit frewenlich und der schörpf angetast als ob sie an demselben schuldig... besorgt ich, daß aus solichem seinem unabläßlichen Will und Beharren zwischen der Gemain und der Oberkait ain solichen Unwill und Unainigkeit erwachse, dass es auch noch zu weiterem Übel ein stattliches Ursach sein mecht. Deshalben ich dann mit unterlassen denselben Predikanten mit dapfern Ursachen zu rechtvertigen (d.h. zur Verantwortung zu ziehen)". Man habe ihm mehrmals "bitlich" angeboten, seine Kritik an der Obrigkeit ihr selbst zu sagen, ehe er sie von der Kanzel äußerte, wenn das nicht helfe "so stend im dann zumal bevor, dawider an der Cantzel zu prediciern und zu fechten." Mit Auswärtigen, zum Beispiel den Straßburgern Martin Bucer und Wolfgang Capito 1478-1541 habe er die gleiche Erfahrung gemacht. "Es fehlt doch aber denen Leuten.. an dem, das sy der Politic noch auch nichts andres wissen oder erfarn, dann was sie in den Büchern lesen und finden, und sein unerkannt was zur Erhaltung der Commun und Regierung not und gut sey." Folgte man ihrem Eifer, so müsste der Rat nicht nur unnötige Kriege führen, sondern auch über benachbarte Herrschaften um des Glaubens willen geistlichen und weltlichen Zwang ausüben. - Politik und Gottesstaat, diese noch aktuelle Grundsatz-Spannung ist hier klassisch beschrieben. Überhören wir dabei nicht den Respekt des Bürgermeisters vor seinem Prädikanten. Und wir sollten Sam insofern in Schutz nehmen, als er doktrinäre Gegensätze erkannt hat und, wie bei seinen Gutachten, zu mildern versucht hat.

Er hat in Martin Frecht einen würdigen Nachfolger gefunden. Der Rat hatte sich vorher bei "Berühmtheiten" dafür umgesehen. Die zwinglianische Richtung wurde bald verlassen, wohl nicht zum Schaden Ulms. Ein Bild Sams gibt es nicht, von ihm, der die Bilder aus der Kirche tun ließ.

Wie hat Sam sich innerlich gefühlt in den neun oft schweren Jahren seines Amtes? Als er um 1528 seine Schriften für das evangelische Leben herausgab, war darunter der deutsche Psalter in Gebetsform. Mag er auch in die religiöse Literatur der Zeit gehören, so ist doch auch ein persönlicher Ton zu hören, besonders im 120. Psalm, der hier für sein Anliegen stehen möge:

"In nöten.

Ach lieber Herre zu dir schrey ich in dieser meiner bekümmernis. Herr erhör mich / Herr erreth mich von den bösen meulern / und von den falschen zungen die dein wort schmehen / und mich umb deiner warhait willen die ich bekendt hab unnd gepredigt. Wee mir das ich unnder fremdlingen die nicht aus dir geporen seynd / muß wonen / da man dem fryd feind ist. O Herr hylf mir aus yhnen. Amen."

Aktualisiert am: 19.03.2018