Das Bild - Der breite und der schmale Weg

Von: Lang, Friedrich Gustav

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Bildaufbau
  2. 2: Entstehung
  3. 3: Verbreitung
  4. 4: Deutung
  5. 5: Nachwirkung
  6. Anhang

"Der breite und der schmale Weg“, Lahrer Fassung 1960

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Inventar-Nr. 91.051

Das Andachtsbild vom breiten und schmalen Weg war im württembergischen Pietismus weit verbreitet. Es diente als Leitbild für christliches Leben und Handeln. Die bekannteste Ausführung des Motivs wurde 1867 in Stuttgart veröffentlicht. Seither hat das Bild zahlreiche Neuauflagen erhalten. Viele Menschen hat es in ihrer Kindheit geprägt. Manchen hat es Angst gemacht. Manche erinnern sich gern daran, weil man so viel darin entdecken konnte.

1: Bildaufbau

Im Vordergrund steht eine Mauer mit zwei Pforten. Die linke Pforte ist weit geöffnet. Rechts sieht man einen engen, niedrigen Durchlass. Zwei Wege führen dahinter fast durchs ganze Bild nach oben. Der linke Weg ist breit und fast gerade, er steigt sanft an und ist gut belebt. Der Weg rechts ist schmal und steil und hat viele Stufen und Windungen; nur einzelne Menschen sind darauf zu sehen.

Vor der Mauer weist ein Wegzeiger in die beiden möglichen Richtungen: auf der einen Seite zu „Tod und Verdammnis“, auf der andern zu „Leben und Seligkeit“. Links geht der Weg vorbei an Gasthof, Theater und Spielhölle. Am Ende führt er in einen Feuersturm, in dem die Stadt Babylon zusammenstürzt. Rechts schlängelt sich der Weg zwischen dem Gekreuzigten und der Kirche hindurch, vorbei an Sonntagsschule, Kinderrettungsanstalt und Diakonissenhaus. Über einem Gebirgspfad leuchtet am Ende das himmlische Jerusalem. Zwischen den beiden Wegen liegt eine Schlucht, die sich allmählich vertieft. Über ihr steht von rechts her ein Regenbogen.

Das ganze Bild ist übersät von vielen kleinen Szenen, denen jeweils eine Bibelstelle beigefügt ist. Oft sind die Bibelverse im Wortlaut daneben geschrieben. Links auf der Fahne am Gasthof liest man „Weltsinn“, und dazu gehört die Gartenwirtschaft mit den fröhlichen Zechern. Auf dem breiten Weg sind einzelne Gesetzesübertretungen und Laster dargestellt. Im Gegensatz dazu sieht man in der Kirche rechts, wie das Abendmahl gereicht wird, und auf dem schmalen Weg sind die „Werke der Barmherzigkeit“ (nach Matthäus 25,34–40) zu erkennen.

Alle, die das Bild betrachten, sehen sich vor die Entscheidung gestellt, wie sie ihr Leben führen möchten. Die Personen vorn auf dem Bild stehen vor derselben Entscheidung. Links wird man ausdrücklich „Willkommen“ geheißen. Der Prediger rechts zeigt auf den rechten Weg. So ist das Jesus-Wort Matthäus 7,13–14 umgesetzt:

Geht hinein durch die enge Pforte.

Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt,

und viele sind’s, die auf ihm hineingehen.

Wie eng ist die Pforte und wie schmal ist der Weg, der zum Leben führt,

und wenige sind’s, die ihn finden!

2: Entstehung

Das Bild in seiner Urfassung wurde von Charlotte Reihlen (1805–1868) entworfen und 1867 veröffentlicht. Sie war die Frau eines wohlhabenden Stuttgarter Zuckerfabrikanten. Im Pietismus beheimatet, hatte sie wesentlichen Einfluss u.a. bei der Gründung der Stuttgarter Diakonissenanstalt. Zusammen mit ihrem Mann hat sie verschiedene „Kinder-Rettungs-Anstalten“ unterstützt, und ihr Sohn Adolf Reihlen (1824–1912) sammelte 1865 in ihrem Haus eine Kindergruppe zur ersten „Sonntagsschule“ in der württembergischen Landeskirche. So spiegelt ihr Bild ein Stück ihrer Biographie.

Im Juli 1866 war sie durch zwei Erlebnisse zutiefst erschüttert. Im Krieg zwischen Preußen und Österreich, dem deutsch-deutschen „Bruderkrieg“, standen die Württemberger auf österreichischer Seite und erlitten bei Tauberbischofsheim eine schwere Niederlage, mit vielen Toten und Verwundeten. Gleichzeitig hat ihr Ehemann Friedrich Reihlen (1797–1870) einen Schlaganfall erlitten und war seither ein Pflegefall. Die Erfahrung von doppelter Todesnähe, im Feld und daheim, gab ihr den Anstoß zu dem Bild.


„Der breite und der schmale Weg“, Stuttgarter Fassung, Farbversion von 1873/84

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Museale Sammlung, Inv. Nr. 03.006

Das Motiv der zwei Wege ist sehr alt und findet sich schon in der griechischen Sagenwelt. So hat es auch eine lange Tradition in der Kunstgeschichte. Charlotte Reihlen kannte einige Vorgängerbilder, die um 1840 erschienen waren, wollte es aber besser machen. Nach ihren Vorstellungen hat der Lithograph Conrad Schacher (1831–1870) das Bild ausgearbeitet, zunächst ohne Farben. Später wurde auch eine Farblithographie angeboten. 1890/91 erschien eine leicht überarbeitete Neuauflage, signiert von dem Lithographen Paul Beckmann (1846–1919).

3: Verbreitung

Gawin Kirkham (1830–1892)

www.pictureswithamessage.com

In den frommen Kreisen Württembergs war das Bild bald weit verbreitet. Es wird erzählt, dass es gern zur Hochzeit verschenkt wurde. Aber es ist auch weit über Württemberg hinaus bekannt geworden.

Gleich 1867 erschien eine holländische Fassung. Der englische Volksmissionar Gawin Kirkham (1830–1892) entdeckte sie 1868 in Amsterdam. Er ließ davon ein großformatiges Plakat malen. Als Prediger der Londoner Open-air-mission verwendete er es seither bei seinen Evangelisationen. Sie führten ihn in alle Kontinente. Seit 1883/86 hat er einen englischen Druck des Bildes angeboten.

 


Carl Schweickhardt (1858–1925)

St. Johannis-Druckerei, Lahr-Dinglingen

Der Gründer der St.-Johannis-Druckerei in Lahr, Carl Schweickhardt (1858–1925), veröffentlichte 1921 eine neue deutsche Fassung. Im Wesentlichen war sie eine Übernahme der englischen Fassung. Sie wurde sehr sorgfältig als Lithographie in neun Farben gedruckt, und zwar gleichzeitig in verschiedenen Sprachen: auf Englisch, Holländisch und Spanisch, sogar auf Armenisch und Ungarisch.

Die deutsche Fassung von 1921 hatte noch einige Besonderheiten gegenüber der englischen. Seit 1960 war sie der englischen angeglichen. Seit 1974 wurde das Kreuz ohne den Gekreuzigten abgebildet, denn strenge Calvinisten hatten daran Anstoß genommen. 1989 wurde am Himmel das Dreieck mit dem Gottesauge getilgt; manche hatten es mit einem Freimaurersymbol verwechselt. Noch 2010 war das Bild im Verlagsangebot.

4: Deutung

Oft wird an dem Bild kritisiert, es mache auf gesetzliche Weise ein bestimmtes Verhalten verbindlich. Es predige also „Werke“ anstelle des Glaubens. Nun wurde der Stuttgarter Fassung lange Zeit eine „Erklärung“ beigegeben. Sie hatte einen Umfang von 8 Seiten und war vermutlich von Theodor Reihlen (1828–1869) abgefasst, der die Überlegungen seiner Mutter genau kannte. Darin wird dieser Kritik vorweg begegnet, besonders an zwei Punkten:  Zum einen aufgrund der symbolischen Darstellung im Vordergrund, die man leicht übersieht. Sie enthält die theologische Basis. Links die Disteln, Dornen und Giftpflanzen bezeichnen Fluch und Tod, die Schlange den Sündenfall. Die Kornähren und Trauben rechts stehen für Segen und Leben, sie verweisen auf das Sakrament von Brot und Wein. Die Tafeln des Gesetzes in der Mitte sollen daran erinnern, dass das Gesetz dazu hilft, die Sünde zu erkennen, und deshalb dazu antreibt, auf Christus zu vertrauen (nach Römer 3,20 und Galater 3,24). Entsprechend stehen auf zwei Felsplatten die beiden Halbverse: „Gleichwie sie in Adam alle sterben – also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden“ (1.Korinther 15,22).

Zum andern wird betont, dass die guten Werke auf der rechten Seite „Früchte des Glaubens“ sind und keine Zugangsbedingungen zum Heil. Entsprechend sind in den verschiedenen Untaten links die „Früchte des Unglaubens“ dargestellt. So ist das ganze Bild als Ruf zur Umkehr und Aufruf zum Glauben zu verstehen.

Unterschiedlich hat man die zwei Brücken gedeutet, die hinten über die Schlucht führen. In Charlotte Reihlens Urfassung befindet sich niemand darauf. Sie dachte an die Gefahr, rückfällig zu werden. So ist es dann in der deutschen Fassung von 1921 zu sehen. Dagegen zeigte schon die holländische Fassung von 1867 auf der Brücke den Verlorenen Sohn, der nach rechts zu seinem Vater zurückkehrt. Dem ist die englische Fassung gefolgt, seit 1960 auch die deutsche. Im einen Fall dient die Brücke zur Warnung, im andern als Einladung, wie die Szene mit der Volksmission unterstreicht.

Rätselhaft ist die Eisenbahn am Ende des breiten Wegs, kurz vor dem Feuer des Gerichts. Zeigt sich darin die Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit der pietistischen Kreise? In Charlotte Reihlens „Erklärung“ wird anerkannt, dass die Eisenbahn „an sich eine gute und nützliche Erfindung“ sei. Andrerseits habe sie „viel Sünde im Gefolge, z.B. die Sonntagsentheiligung usw.“ Entsprechend steht auf den englischen Bildern neben dem Zug „Sunday Train“. Doch anscheinend ist noch an anderes gedacht. Die Eisenbahn fährt gleich hinter einer Kriegsszene, davor treibt ein Mann drei Sklaven vor sich her, die in der Urfassung als Schwarze gezeichnet sind. Womöglich spiegelt sich darin die damalige Zeitgeschichte. Im amerikanischen Bürgerkrieg (1861–65) wurde um die Sklavenbefreiung gekämpft. Dort in den USA und jetzt im Krieg von 1866 hat der strategische Einsatz der Eisenbahn erstmals über Sieg und Niederlage entschieden.

5: Nachwirkung

Charlotte Reihlen hat mit ihrem Bild eine Reihe von unterschiedlichen Nachahmern gefunden.

Für die Mission etwa in Indien oder China wurde das Bild frei adaptiert. Oder in der Zeit nach 1968 hat man den apokalyptischen Dualismus persifliert und auf den Gegensatz von Kommunismus und Kapitalismus bezogen; statt mit Bibelworten war das Bild mit Zitaten von Karl Marx unterlegt. Oder 2003 ist eine moderne Version erschienen, bei der Flugzeuge in die New Yorker Wolkenkratzer stürzen (vgl. www.der-schmale-und-der-breite-weg.de).

Charlotte Reihlens Bild regt weiterhin die Phantasie an, und das Jesus-Wort von den zwei Wegen stellt weiterhin vor eine existenzielle Entscheidung, die das ganze Leben bestimmen soll.

Aktualisiert am: 31.05.2022