Gescheiterte Reformationen: Andreas Althamer in Schwäbisch Gmünd, Konrad Stücklin in Rottweil und Theobald Billican in Weil der Stadt

Von: Köhler, Joachim

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Schwäbisch Gmünd
  2. 2: Rottweil
  3. 3: Weil der Stadt
  4. Anhang

Wer die Feststellung trifft, die "Reformation" in einer Stadt sei gescheitert, wie dies üblicherweise in den Reichsstädten des deutschen Südwestens Schwäbisch Gmünd, Rottweil und Weil der Stadt geschieht, der wird sich schwer tun, dies einzelnen Personen oder Akteuren anzulasten..(1)

Einfacher ist es, den Erfolg oder wenigstens den Durchbruch der Reformation in den Städten mit einzelnen Personen in Verbindung zu bringen. So können viele Städte auf ihren Reformator hinweisen.

Dadurch aber treten die vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und religiösen Ursachen oft in den Hintergrund. Um das Scheitern zu ergründen, muss auf diese Verflechtungen aufmerksam gemacht werden. Der Verweis allein auf den Akteur, der gescheitert ist, wird den vielfältigen Gegebenheiten nicht gerecht. Noch sind in den Städten, in denen die Reformation gescheitert ist, bestimmte Namen im Bewusstsein jener Minderheit, die der herrschenden Schicht unterlegen ist, gleich ob sie in der katholischen Stadt überlebt oder aus ihr vertrieben wurde. Die Funktion des Erinnerns war für die Bewusstseinsbildung und damit für die Bestärkung des Glaubens von großer Bedeutung.

So stehen die Namen Andreas Althamer um 1500-1539 für Schwäbisch Gmünd, Konrad Stücklin für Rottweil und Theobald Billican um 1490-1554 für Weil der Stadt. Althamer und Billican haben sich nur kurze Zeit in Schwäbisch Gmünd bzw. in Weil der Stadt aufgehalten. Ihr Leben und Wirken nahm erst nach deren Wechsel in die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach bzw. nach Nördlingen greifbare Strukturen an. Nicht in diesen Städten des deutschen Südwestens wurde ihr Ruhm als Reformatoren begründet. Doch fiel ein wenig von ihrem späteren Glanz auf die Städte ihres früheren Wirkens zurück. Nach dem Urteil von Martin Brecht und Hermann Ehmer war Stücklin in Rottweil "wohl keine allzu starke Persönlichkeit".(2) Die Tatsache, dass Stücklin nach seinem Weggang aus Rottweil 1532 dem evangelischen Glauben abgeschworen hatte, und seine protestantischen Zeitgenossen der Meinung waren, dass er "des evangelischen Kreuzes müde geworden sei"(3), nahm ihm den Nimbus eines Reformators, den er zuvor aufgrund seiner Ausstrahlungskraft durch seine Predigt erzeugt hatte.

Die Erinnerung an die "Reformatoren", die gescheitert sind, mag deutlich machen, dass im Hinblick auf die sozialen und religiösen Belange ein neues Denken in den Städten weit verbreitet war. Der Durchbruch oder gar eine Wende hing von anderen Faktoren ab. Wenn wir die Geschichte nicht so sehr von Ideen her beurteilen, sondern das Umfeld der Menschen und die Verhältnisse, die zu neuem Denken führten oder die Neuerungen ablehnten, werden wir auf ein Netzwerk sozialer wirtschaftliche und politische Faktoren verwiesen, die allein den Sieg oder das Scheitern der Reformation in den einzelnen Städten erklären können.

1: Schwäbisch Gmünd

Die Frage, warum Schwäbisch Gmünd zäher und zuletzt auch erfolgreicher an dem alten Glauben festgehalten hat, ist insofern problematisch, als diese Stadt im Gegensatz zu anderen südwestdeutschen Reichsstädten am stärksten unter dem Einfluß der Zünfte stand und dementsprechend eine recht schwache Obrigkeit besaß. Das konservative Gegengewicht eines städtischen Patriziats, das anderwärts den Fortgang der Reformation spürbar gehemmt hat, fehlte

Beide Faktoren würden für eine Begünstigung der Reformation sprechen. Man darf deshalb die Vorgänge zum Beginn der Reformation nicht aus der Sicht konfessioneller Auseinandersetzungen späterer Jahrhunderte beurteilen. Aufgrund der vorliegenden Äußerungen und Entscheidungen des Rates lässt es sich zeigen, "wie weit noch ins 16. Jahrhundert hinein, weniger religiöse Motive, sondern vornehmlich die Linie eines unbedingten Gehorsams dem Kaiser gegenüber bestimmend blieben; vielleicht geschah dies gerade deshalb, weil ohne diese Rückendeckung die Behauptung der obrigkeitlichen Position gegenüber der Bürgerschaft unmöglich erschien".(4) Die zünftischen Kreise, die innerhalb des Stadtregiments eine Vorherrschaft anstrebten, waren aufgeschlossen für das neue Denken, das um die Verkündigung des "reinen Gotteswortes" bemüht war. Deshalb war es verständlich, dass der Rat Maßnahmen ergriff, die eine Regelung der Predigt und die Disziplin der Geistlichkeit umfassten. Als aber im Zuge der Bauernbewegungen Ruhe und Sicherheit der Stadt bedroht waren, war es für die zünftischen Kreise klar, dass sie sich nicht mit den Bauern verbanden. Bürgermeister Egen aber, das Haupt der altgläubigen Partei, forderte zum Schutz der Stadt beim Schwäbischen Städtebund Truppen an. Diese Maßnahme verhinderte die Ziele der zünftischen und der reformatorischen Bewegung.

In diesem sozialen und politischen Geflecht stand Andreas Althamer, der als die zentrale Figur der reformatorischen Bewegung in Schwäbisch Gmünd gilt. Er stammte aus Brenz bei Heidenheim, war vor 1500 geboren, studierte in der Zeit von 1516 bis 1520 in Leipzig und Tübingen, wurde vom Humanismus geprägt und hatte, ehe er nach Schwäbisch Gmünd kam, an mehreren Orten als Schulmeister gewirkt. 1524 hatte er die Stelle eines Helfers (Kaplan) des Pfarrers erhalten. Die Stellung des Pfarrhelfers war eine denkbar unsichere. Der Pfarrer als Vorgesetzter hatte das Recht, den Helfer jederzeit zu entlassen. Da die spätere Entlassung Althamers dem Rat gelegen kam, sah er sich nicht veranlasst, gegen die Entscheidung des Pfarrers einzuschreiten.

Althamer wäre gern nach dem Tod des Pfarrers Thomas Köllin im Juli 1524 dessen Nachfolger geworden, aber das Domkapitel von Augsburg, das über die Pfarrkirche das Patronatsrecht inne hatte, setzte auf Empfehlung des Rates einen anderen, vermutlich den Gmünder Ulrich Schleicher, als Nachfolger ein, was die Konfliktsituation zwischen Pfarrer und Pfarrhelfer erklärt.

Innerhalb kürzester Zeit war es Althamer gelungen, mit der Art seiner Predigt Einfluss auf die Zunfträte zu nehmen, die "aber in ihrer Hinwendung zur neuen Lehre noch keinen Gegensatz zu der auch von ihnen anerkannten Obrigkeit empfanden".(5)

Am 15. November 1524 reichten fünf Gmünder Bürger dem Rat eine Bittschrift ein, in der sie die Errichtung einer Predigerstelle, wie sie in vielen anderen Städten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts üblich war und aus der Stadtkasse finanziert wurde.

Der Eingang der Bittschrift wurde durch den Rat bestätigt, die Antwort aber durch "Reformmaßnahmen" verzögert bzw. dadurch negativ beschieden. In einem Dekret vom 19. Dezember 1524 wurden die kaiserlichen Mandate und das Wormser Edikt in Erinnerung gebracht, in denen unter Verlust der Freiheiten lutherisches Gedankengut zu verbreiten verboten wurde. Am Tag darauf verpflichtete Egen die Räte auf diese Mandate und stellte dabei die Vertrauensfrage. Auch dem Pfarrer und seinem Helfer wurden die Mandate eigens verlesen. Die Antwort an die Bittsteller konnte nun negativ beschieden werden: Der Rat habe verfügt, daß die Prediger der Stadt "das hailig euangelium mit seiner geburenden außlegung solten predigen und ander disputierlich sachen, so zu widerwillen, veintschaft und aufruren mochten dienen, underlassen".(6) Der Rat setzte den Wunsch nach einem Prediger mit einer Verletzung des Bürgereids und mit Aufruhr gleich und war gewillt, das Zuwiderhandeln zu bestrafen.

Althamer wurde von seinem Pfarrer entlassen. Beim Rat fand er keine Unterstützung. Daraufhin richtete der evangelische Teil der Bürgerschaft am 2. Februar 1525 erneut eine Bitte um einen Prediger an den Rat. Gleichzeitig versicherten sie ihre Treue als Bürger.

Offensichtlich war die Zahl der Bürger, die einen Prediger forderten so groß, dass der Rat sie nicht mehr übergehen konnte. Es wurde ihnen ein Predigtgottesdienst zugestanden, der sogar mit einer kleinen Glocke eingeläutet werden durfte. Auch die Besoldung Althamers, der von den Bittstellern angestellt wurde, übernahm die Stadtkasse. Allerdings war die Bürgerschaft gespalten. Althamer wurde einmal auf dem Weg zur Predigt tätlich angegriffen. Als Revanche störte er mit seinen Anhängern die Predigt eines bekannten Dominikaners in der Dominikanerkirche.

Tumulte, die in der Osternacht vom 15. auf 16. April 1525 ausgebrochen waren und in der Plünderung der Vorratskammern des Dominikanerklosters eskalierten, sind eher auf das Konto der Auseinandersetzungen um die Macht im Rat zu interpretieren. Die Verhaltung eines angeblichen Unruhestifters durch den Rat wurde von der Bevölkerung, die durch die Bauernunruhen in Spannung gehalten wurde, als Provokation gedeutet. Die Plünderung des Dominikanerklosters war ein "revolutionärer Vorgang"(7), durch den dokumentiert werden sollte, dass die Machtverhältnisse sich verändert hatten und die neuen, die zünftischen Mehrheiten einen Zugriff auf die Klöster riskieren konnten.

"Die städtische Bewegung in Gmünd, die sich im Gemeindeausschuß verkörperte, sah ... offensichtlich keine Gemeinsamkeit mit der bäuerlichen Bewegung draußen auf dem Land und wollte ihre Sache allein durchführen".(8) Und wir können zu der Feststellung Hermann Ehmers hinzufügen: sie tat dies durch jene demonstrativen Zeichen, die die neuen Machtverhältnisse signalisieren sollten.

Die Klärung der politischen Verhältnisse in der Stadt war nur die Voraussetzung, für eine Veränderung der kirchlichen Zustände. So kam es zu einer Übereinkunft am 27. April 1525: Die Geistlichkeit versicherte dem Rat und dem Gemeindeausschuß ihre Loyalität. Beide Gremien übernahmen die Garantie für die Sicherheit der Geistlichkeit.

Althamer, "der geistliche Führer der Reformpartei"(9), der bei den tumultuarischen Vorgängen eher eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, war bemüht, eine Kirchenordnung aufzustellen. Er regte an, daß Rat und Gemeindeausschuß Gesandtschaften nach Nördlingen, Dinkelsbühl und Nürnberg schicken sollten, um anzufragen, wie dort die Fragen der Kirchenordnung gelöst würden. Althamer selbst richtete neben den offiziellen Anfragen persönliche Schreiben an die drei Prediger dieser Städte.

Zur Abfassung einer evangelischen Kirchenordnung ist es nicht gekommen. Die Truppen des Schwäbischen Städtebundes, die zum Schutz gegen die Bauern vom Bürgermeister Egen angefordert worden waren, haben zunächst auf die innerstädtischen Machtverhältnisse keinen Einfluss gehabt. Anfang Juni 1525 konnte unter dem Druck des Gemeindeausschusses der Rat neu besetzt werden. Althamer hielt die Zeit für gegeben durch eine öffentliche Verheiratung mit einer Gmünder Bürgerstochter die letzte Konsequenz evangelischen Denkens für sich einzulösen. Gleichzeitig bat er den Rat, ihn als Bürger aufzunehmen. Rat und Gemeindeausschuss billigten es nicht, diese Neuerung zu akzeptieren.

Eine Predigt, in der er sein Vorgehen rechtfertigte und die im Druck erschienen ist, konnte die Gmünder nicht umstimmen. Am 4. Juli 1525 wurde er entlassen, weil er sich "wider die christlichen Ordnung verheyrat".(10)

Gleichzeitig wurden Stimmen laut, die forderten, den Kleinen und Großen Gemeindeausschuss aufzulösen. Durch Zuzug der Bundestruppen wurde Althamer bedroht. Nur durch eine Flucht aus Schwäbisch Gmünd konnte er sich retten. Über Wittenberg begab er sich nach Nürnberg. 1527 wurde er Pfarrer in Eltersdorf bei Nürnberg, Anfang 1528 Diakon an St. Sebald in Nürnberg und im Mai 1528 Stadtpfarrer in Ansbach, wo er im Sinne der Reformation wirkte.

In Schwäbisch Gmünd war es der zünftischen Bewegung nicht gelungen, sich gegen die konservativen Kräfte durchzusetzen. Da die Zünfte sich auch nicht mit den Bauern verbünden wollten, haben letztlich die "Schutztruppen" des Schwäbischen Städtebundes die zünftische und reformatorische Bewegung verhindert.

2: Rottweil

Martin Brecht nennt die gescheiterte Reformation in Rottweil "eines der einschneidendsten und dunkelsten Ereignisse in der Geschichte"(11) der Stadt. Die kurze Phase, in der sich diese Vorgänge abspielten, endete mit der Ausweisung von 80 bis 100 Familien, insgesamt etwa 400 Personen, die Unterschlupf in Baden, Straßburg, Konstanz und in der Schweiz suchen mussten. Die Heftigkeit, mit der die Auseinandersetzungen auch innerhalb der Bürgerschaft ausgetragen wurde, läßt sich nur erklären, wenn die besonderen Gegebenheiten der Stadt berücksichtigt werden. Die innerstädtische Verfassung könnte als autoritär und antidemokratisch bezeichnet werden. Seit 1500 wurden die Mitglieder des Rates auf Lebenszeit gewählt. Sie kamen aus dem Patriziat und aus Familien zünftischer Herkunft, die es zu Reichtum und Ansehen gebracht hatten.

Der Sprecher jener Städte, die 1529 auf dem Reichstag von Speyer den Reichstagsabschied annahmen und nicht "protestierten" war Konrad Mock, der aus einer angesehenen und konservativ geprägten Familie aus Rottweil stammte.

Außenpolitisch musste Rottweil immer um seine Selbständigkeit kämpfen. Von Österreich und Württemberg bedroht, gelang Rottweil seit 1463 durch ein Bündnis mit den Eidgenossen, das 1519 erneuert wurde, sich zu schützen. Die vielfältigen Beziehungen zur Schweiz hatten insofern verhängnisvolle Wirkungen, da durch die reformatorische Bewegung die Schweiz selber in zwei Lager zerfiel. Deshalb waren die Ansätze reformatorischen Denkens in Rottweil von der oberdeutschen-schweizerischen Bewegung geprägt. Rückhalt erhielten die Rottweiler Patrizier von den katholischen Kantonen der Schweiz. Die Spaltung der Schweiz wurde im Zusammenhang mit der Reformation auf die Stadt Rottweil übertragen.

Ausschlaggebend war die Tatsache, dass in Rottweil das kaiserliche Hofgericht angesiedelt und deshalb eine enge Bindung an Österreich einfach gegeben war. Österreich und die Stadt Rottweil sahen in dieser Bindung lebenswichtige Interessen. Als Machtinstrument österreichischer Politik war es undenkbar, das Stadtgericht in protestantische Hände zu geben. Die Stadt hätte ihre Bedeutung verloren, wäre das Hofgericht verlegt worden.

Durch die Bildungseinrichtung, eine Lateinschule, die im Geiste des Humanismus geführt wurde, konnte man den Rottweilern eine gewisse Weltoffenheit nicht absprechen.

Zu ihnen gehören Schüler der Rottweiler Lateinschule Berthold Haller 1492-1536 aus dem württembergischen Aldingen, der 1513 mit seinem ehemaligen Lehrer Michael Röttlin als Schulgehilfe nach Bern ging, dort Prediger und Chorherr wurde und an führender Stelle die Reformation in Bern betrieben hat. Auch Melchior Volmar 1497-1561 war 1510 bereits mit Röttlin nach Bern übergesiedelt. Er wurde in Bourges in Frankreich Lehrer der späteren Reformatoren Johannes Calvin 1509-1564 und Theodor Beza 1519-1605 Der Schweizer Humanist Heinrich Glareanus 1488-1563 und der spätere Basler Reformator Oswald Myconius 1488-1552 hatten die Rottweiler Lateinschule besucht. Der Rottweiler Johannes Spreter vor 1490-1549 war 1522 im Dienst des Konstanzer Bischofs, 1523 wurde er Pfarrer von St. Stephan in Konstanz. Nachdem er sich 1525 für die Reformation entschieden hatte, kam mit Ambrosius Blarer 1492-1564 nach Württemberg und wurde Pfarrer in Trossingen, wo er bereits vor dem Weggang nach Konstanz altgläubiger Pfarrer war. Er und Valerius Anshelm 1475/80-1547 haben unmittelbar in die Vorgänge in Rottweil eingegriffen. Anshelm war zwischen 1475 und 1480 in Rottweil geboren, hatte 1492 oder 1493 sein Studium in Krakau begonnen, in Basel und Tübingen fortgesetzt und als Doktor der Medizin in Lyon abgeschlossen. 1505 wurde er erst als Schulmeister später als Mediziner in Bern angestellt. 1525 kehrte er nach Rottweil zurück, weil er wegen seines Einsatzes für die Reformation in Bern Schwierigkeiten bekommen hatte.

Die Anfänge reformatorischen Lebens liegen in Rottweil relativ spät, etwa 1520, vermutlich hängen sie mit dem Auftreten Anshelms zusammen, der Hauskreise, in denen die Bibel gelesen und besprochen wurde, anregte.

Konrad Stücklin aus Sigmaringen, der 1526 als Pfarrer angestellt wurde, hat, vermutlich von Anshelm beeinflusst, im Sinne reformatorischer Schriftauslegung gepredigt. Stücklin hatte 1495 in Tübingen studiert und war, ehe er nach Rottweil kam, Pfarrer in Pfullendorf.

Da auch der Pfarrhelfer Wolf Biedermann (oder Penzlin) und der Pfarrer der Altstadt in evangelischem Sinne gepredigt haben und sie alle von der Mehrheit der Gemeinde akzeptiert wurden, wird man diese Phase als ein offene bezeichnen können, in der Konfessionsgrenzen noch nicht festgelegt waren. Gestört wurde diese Entwicklung von Scharfmachern, die auf Abgrenzung drängten.

Der Lesemeister des Dominikanerklosters Georg Neudorfer mischte sich 1526 literarisch in einen theologischen Streit ein, der zwischen den theologischen Richtungen der Konstanzer Geistlichkeit ausgetragen wurde. Die altgläubige Seite hatte Johannes Eck 1486-1543 und Tübinger Professoren um Unterstützung gebeten. Neudorfer wurde in seinen Schriften ausfällig und polemisch, so dass der Konstanzer Rat sich beim Rottweiler Rat beschwerte. Der Streit wurde direkt in die Stadt Rottweil getragen, als der obengenannte Johann Spreter Einfluss auf die Verhältnisse seiner Vaterstadt nahm, in dem er 1527 eine "Christlich instruction und frintlich ermanung, Göttlichs Wort anzunehmen" zuschickte. Der Überbringer dieser Schrift wurde durch den Rat gefangengesetzt. Die Schrift Spreters wurde öffentlich auf dem Marktplatz verbrannt. Die Replik auf Spreters Schrift wurde Neudorfer übertragen, der Spreter vorwarf, Aufruhr zu schüren.

Erste Maßnahmen gegen Rottweiler Bürgerinnen und Bürger, die der Neuerung verdächtigt wurden, wurden ergriffen. Sie wurden gefangen genommen.

1528 meldete sich Neudorfer mit einer neuen Schrift zu Wort, um in eine Disputation in Bern einzugreifen, die von evangelischer Seite als Reaktion auf katholische Disputationen in Konstanz und in Baden (Schweiz) angeregt wurden. 

Eine Einladung, die von den Berner Theologen an die süddeutschen Städte ergangen war, wurde vom Rottweiler Rat nicht angenommen. Stattdessen ergingen bischöfliche Aufforderungen an die Stadt, die Geistlichen, die im evangelischen Sinne predigten, nach Konstanz zu schicken oder über sie zu berichten. Der österreichische Regent, Erzherzog Ferdinand I. 1503-1564 drohte mit Entzug des Hofgerichts. Evangelische Bürgerinnen und Bürger wurden überwacht. Pfarrer Stücklin wurde, weil er einer Vorladung nach Konstanz nicht nachkam, mit dem Kirchenbann belegt. Eine Gemeindeversammlung forderte den Rat auf, sich einzusetzen, daß der Bann aufgehoben würde. "Der Pfarrer solle das Alte und Neue Testament pur und rein predigen".(12)

Da der Rat gegen Stücklin nichts ausrichten konnte, kündigte er vorzeitig den Vertrag, den er mit dem Arzt Anshelm geschlossen hatte. Dieser bemühte sich um Intervention Schweizer protestantischer Städte. Da aber mit den protestantischen Gesandten gleichzeitig Vertreter der katholischen Kantone eintrafen, wurden diese Bemühungen neutralisiert. Inzwischen wurden die Mehrheiten bei den Vertretern der Zünfte zu Gunsten des alten Glaubens entschieden worden. Hausdurchsuchungen nach reformatorischen Schriften wurden durchgeführt. Neudorfer benützte die Kanzel der Dominikanerkirche zu antievangelischer Agitation und beschimpfte prominente Reformatoren als Ketzer. Stücklin reagierte ebenso heftig und bezeichnete die Altgläubigen als Ketzer. Anfang 1529 wurden beide Agitatoren aus der Stadt verwiesen.

Der Nachfolger Stücklins musste sich - ob berechtigt oder nicht - die übliche Kritik an der Geistlichkeit gefallen lassen. Die Anhänger der neuen Lehre besuchten seine Gottesdienste nicht, sondern die in der Altstadt, wo noch evangelisch gepredigt wurde. Dem Pfarrhelfer Wolf Biedermann wurde die Kanzel verboten. Die Kirche blieb leer. Biedermann fand eine Anstellung als Prädikant in Schaffhausen.

Eine Bittschrift von zwanzig evangelischen Bürgern verfasst, die am 18. Juli 1528 dem Rat durch neun Vertreter der Zünfte vorgelegt wurde, wäre geeignet gewesen, einen modus vivendi der zerstrittenen Parteien herbeizuführen, jedoch war die Stimmung in der Stadt so gereizt, dass die einzelnen Gruppen eine Auseinandersetzung mit Waffengewalt nicht ausschlossen. Die Altgläubigen rotteten sich am 23. und 24. Juli 1528 unter der Leitung Neudorfers, der in die Stadt zurückgekehrt war, im Dominikanerkloster zusammen und forderten Sanktionen gegen die Bittsteller. Die Evangelischen scharten sich am 25. Juli 1528 in Waffen in zwei Häusern der Stadt zusammen. Am 27. Juli zog der Rat zur Verstärkung bewaffnete Landbevölkerung in die Stadt. Als die Bittsteller eine Antwort auf deren Vorschlag des friedlichen Zusammenlebens verlangten, eröffnete ihnen der Rat, daß sie wegen ungebührlichen Verhaltens eine Strafe von 100 Gulden zu zahlen hätten. Die Evangelischen erbaten sich Bedenkzeit. Man wollte eine friedliche Lösung. Es schien, als ob beide Parteien einlenken wollten. Die Evangelischen waren bereit, unter bestimmten Bedingungen die Summe der auferlegten Strafe zu entrichten. Der Friede wurde von den Altgläubigen in der Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz beschworen, die Evangelischen taten Gleiches auf dem Marktplatz, jedoch der Rat hielt sich nicht an die Abmachungen. Die Evangelischen wurden aus den Ämtern der Stadt entlassen, darunter zwölf Ratsmitglieder. 18 Personen wurden verhaftet und gefangen gesetzt. Stücklin, der sich inzwischen in Konstanz aufhielt, versuchte Hilfe aus Zürich und Bern zu erhalten. Die endgültige Entscheidung wurde durch die vorderösterreichische Regierung Anfang August 1528 herbeigeführt, die eine Aufhebung des Hofgerichts androhte, falls die evangelische Bewegung in der Stadt sich festige und ausbreite. Der Rat könne mit militärischer Unterstützung aus der vorderösterreichischen Stadt Rottenburg rechnen, wenn es nicht gelingen würde, führende Köpfe aus der Stadt zu vertreiben. Offensichtlich war die Lage der Evangelischen so verzweifelt, dass sie sich in der Hochbrücker Vorstadt versammelten und diese besetzt hielten.

Der Rat hatte am 26. August 1528 von einer Verschwörung der Schneiderzunft gegen den Rat an Erzherzog Ferdinand berichtet. Somit war das Vorgehen mit Unterstützung des bewaffneten Landvolkes gegen die Evangelischen und deren Ausweisung aus Rottweil nach außen hin gerechtfertigt. Vermittlungen von Schweizer Städten führten zu keiner Zurücknahme des Ausweisungsbefehls.

In Rottweil hat Habsburg-Österreich eine kompromisslose Machtpolitik betrieben, der sich der Rat der Stadt unterordnen musste, wollte er die Stadt als solche nicht gefährden. Einzelschicksale konnten in dieser Politik nicht den Ausschlag geben, wenngleich einzelne, wie der Bürgermeister Konrad Mock, der auf dem Reichstag von Augsburg 1530 geadelt wurde, aus dieser Machtpolitik auch ihre Vorteile zogen. Die Flüchtlingsschicksale der Evangelischen, die aus Rottweil vertrieben wurden, der Kampf um Wiedergewinnung von Hab und Gut, die Unsicherheit, in fremden Städten aufgenommen zu werden, ist die eine Seite, die auf dem Hintergrund der "gescheiterten Reformation" ins Bewusstsein heutiger Zeitgenossen drängt. Nicht die Politik, nicht die Lehre, nicht Institution interessieren heute, sondern wie einzelne Menschen Politik oder Lehre oder Institution erfahren haben.

Auch die andere Seite der "gescheiterten Reformation" darf heute ins Bewusstsein gehoben werden. Das Beispiel Rottweil zeigt relativ viel freie Entscheidungsräume, Möglichkeiten zur Entscheidung, offene Situationen. Man wird auch damit rechnen müssen, dass auf der Seite der Altgläubigen nicht alle die politische Lösung der religiösen Fragen gutgeheißen haben. Existenzsicherung und soziale Verflechtungen haben die Gewissensentscheidung unterdrückt. Wer will darüber urteilen?

Und schließlich muss Konrad Stücklin nochmals erwähnt werden, der sich nach seiner Vertreibung am Bodensee, in der Nähe von Konstanz aufgehalten hat. 1532 hat er dem evangelischen Glauben abgeschworen. Daraufhin hat er die katholische Pfarrei von Kreuzlingen als neues Betätigungsfeld erhalten. Was in ihm vorgegangen ist, wissen wir nicht.

3: Weil der Stadt

Die konfessionellen Veränderungen, wie sie sich in der Reichsstadt Weil angedeutet haben, sind mit dem Namen Theobald Billican verbunden. Billican (ursprünglich Gerlacher) stammte aus Billigheim in der Pfalz, studierte seit 1520 in Heidelberg, wo er auf den Studiengenossen Johannes Brenz 1499-1570 stieß, der aus Weil der Stadt gebürtig war.

Eine Freundschaft fürs Leben verband diese Männer, die von dem gemeinsamen Interesse einer Neuorientierung der Theologie geprägt war, und deshalb mit Luther u. a. persönliche Kontakte pflegte. Als Billican 1522 sich um die Predigerstelle in Weil der Stadt bewarb, hatte er durch eine Publikation die Aufmerksamkeit zumindest jener einflussreichen Familien, die der neueren Theologie gegenüber offen waren, auf sich gelenkt.

Der Titel war unverfänglich: "Perornata eademque verissima D. Christophori decriptio", eine "Abhandlung über den viel verehrten heiligen Christophorus", die aber einen Angriff auf den volkstümlichen Heiligen darstellte und die Priester, die den Volksglauben verbreiteten, massiv kritisierte. Billican stellte fest, dass es einen Heiligen mit Namen Christophorus nie gegeben habe. Es sei eine allegorische Darstellung des Christenlebens. Einige Sätze aus dieser Schrift wurden unter die 404 Artikel aufgenommen, die Johannes Eck als reformatorische Irrtümer aus Anlass des Augsburger Reichstages 1530 zusammengestellt hatte. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb die katholische Kirche erst im Zuge der Reform des Liturgischen Kalenders durch das Zweite Vatikanische Konzil die Ungeschichtlichkeit des hl. Christophorus bestätigt hat.

Die Bürger von Weil der Stadt wussten, wen sie als Prediger berufen. Als Mann, der die herrschenden Missstände anzugreifen wagte, fand Billican Unterstützung auch durch den Prior Sebastian Rapp vom Augustinerchorherrenstift in Weil der Stadt. Die Kritik an den Heiligen, einschließlich der Verehrung Mariens als Mittlerin (mediatrix) aller Gnaden zielt auf Christus den einzigen Mittler zwischen Gott und Mensch und auf die Ablehnung der Lehre vom Fegfeuer. Die Zustimmung bei weiten Kreisen der Bevölkerung zeigt, dass die Bereitschaft, den Glauben zu reflektieren, größer war, als dies von den meisten Vertretern der Kirche zugestanden wurde.

Die österreichische Regierung, die infolge der Reichsacht, die über Herzog Ulrich 1487/1498-1550 verhängt worden war, auch in Stuttgart das Sagen hatte, übte auf den Rat der Reichsstadt solch einen massiven Druck aus, daß Billican sich nicht lange in Weil der Stadt halten konnte.

Ende Oktober 1522 wurde Billican vom Rat der Stadt Nördlingen für zehn Jahre als Prediger dorthin berufen. "Daß sich Billican die Reform als innerkirchliche Aufgabe unter ausdrücklicher Anerkennung der kirchlichen Hierarchie vorstellte, machte ihn für den Nördlinger Posten erst geeignet".(13)

Am 1. November richtete Billican ein Sendschreiben an seine bisherige Gemeinde in Weil der Stadt. Auch in diesem Schreiben ließ Billican noch erkennen, dass eine Reform innerhalb der Kirche dringend nötig sei und die Art und Weise, wie er in diesem Sendschreiben Luther zitiert, ließ die Deutung zu, dass er auch Luther in diesem Sinne interpretierte. Offensichtlich haben die politischen Maßnahmen von Habsburg-Österreich diesen Freiraum im Falle Billican nicht mehr zugestanden.

Billican behielt zunächst den mehr offenen Standpunkt in seiner theologisch-kirchlichen Position bei. Die Kirchenordnung für Nördlingen von 1525 war ein Ausdruck davon. Als er sich in Heidelberg um die Doktorwürde bemühte, legte er 1529 ein Bekenntnis in diesem Sinne ab. Als er damit zurückgewiesen wurde, heiratete er. Als er durch den Häresieverdacht, den Johannes Eck gegen ihn richtete, gezwungen wurde, vor dem Mainzer Inquisitor Michael Vehus ein Bekenntnis abzulegen, sprach er sich gegen die Lehren der Lutheraner, Zwinglianer und Widertäufer aus. Das löste Unruhe in der Nördlinger Gemeinde aus. Er konnte das Dienstverhältnis bis 1535 verlängern, war aber danach zu einem unsteten Leben mit seiner Familie gezwungen, das er mit einem Jurastudium und Lehraufträgen verbrachte. Das Urteil zur Nördlinger Tätigkeit lautet, dass Billican dort die Reformation eher behindert als gefördert hat.

Irgendwie scheint diese Unentschlossenheit auch jene Kreise in Weil der Stadt beherrscht zu haben, die als evangelische Minderheit angesprochen werden konnten. Im Jahre 1534 wäre Gelegenheit gewesen, sich der Reformation anzuschließen. Das aber hätte eine Eingliederung der Reichsstadt in württembergisches Territorium zur Folge gehabt. Die Entscheidung für kommunale Selbständigkeit war eine Entscheidung für den Katholizismus. Eine nicht unbeträchtliche evangelische Minderheit wurde erst im Dreißigjährigen Krieg verdrängt.

Aktualisiert am: 29.11.2016