Die Reformatoren der oberschwäbischen Reichsstädte Biberach, Isny und Ravensburg: Bartholomäus Müller, Konrad Frick, Thomas Lindner

Von: Warmbrunn, Paul

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Biberach
  2. 1.1: Anfangsphase der Reformation (1521-1527)
  3. 1.2: Bartholomäus Müller und der reformatorische Umbruch (1527-1531)
  4. 1.3: Institutionalisierung der Reformation (1531-1545)
  5. 1.4: Interim, Verfassungsänderung Karls V., Fürstenaufstand und Augsburger Religionsfriede: Der Weg zur Bikonfessionalität (1548-1555)
  6. 2: Isny
  7. 2.1: Erste reformatorische Ansätze
  8. 2.2: Konrad Frick als Schlüsselfigur der Isnyer Reformationsgeschichte
  9. 2.3: Einführung der neuen Lehre unter vorherrschendem schweizerisch-zwinglianischem Einfluss
  10. 2.4: Konsolidierung der neuen Lehre
  11. 2.5: Ausblick: Nebeneinander von evangelischer Reichsstadt und katholischem Kloster
  12. 3: Ravensburg
  13. 3.1: Altgläubiger Kurs des Rates in den ”Reformationsjahrzehnten” der 1520er und 1530er Jahre
  14. 3.2: Später Durchbruch der reformatorischen Bewegung in den Jahren 1544-1546
  15. 3.3: Neuordnung des Kirchenwesens unter Straßburger Einfluss durch Thomas Lindner
  16. 3.4: Bikonfessionalität infolge des Umbruchs der Jahre 1548-1555
  17. 3.5: Zusammenfassung
  18. Anhang

In Oberschwaben, einer bis heute stark durch den Katholizismus geprägten Landschaft, kam den dort besonders zahlreichen Reichsstädten eine Vorreiterrolle bei der Verbreitung und Einführung der neuen Lehre zu. Drei von ihnen, die nach Ende des Alten Reichs an Württemberg kamen, sollen beispielhaft herausgegriffen werden: wurden Biberach und Isny bereits frühzeitig von der reformatorischen Bewegung erfasst, so wandte sich Ravensburg erst relativ spät der neuen Lehre zu. Dass Biberach und Ravensburg seit 1548 zu den bikonfessionellen Reichsstädten gehörten, für die im Westfälischen Frieden von 1648 die numerische Parität eingeführt wurde, und in Isny mit dem Nebeneinander von evangelischer Reichsstadt und katholischer Klosterkirche innerhalb der Stadtmauern ebenfalls eine ungewöhnliche Konstellation bestand, macht diese Fälle besonders aufschlussreich. Dabei soll für jede Reichsstadt ein Geistlicher in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt werden, der durch seine Predigt und/oder organisatorische Leistung beim Aufbau des neuen Kirchenwesens maßgeblichen Anteil an der Einführung und Durchsetzung der Reformation hatte.(1)

1: Biberach

Biberach, 1643, Topographia Sueviae von Matthäus Merian

Gemeinfrei

Die reformatorische Bewegung traf in Biberach(2) auf ein reich entfaltetes Kirchenwesen.(3) 36 Priester amtierten an 37 Altären und lasen nicht weniger als 7488 Messen im Jahr.(4) Die einzige Pfarrei in der Stadt an der St. Martinskirche war seit 1349 dem Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau inkorporiert und wurde in der Stadtbevölkerung immer als Fremdkörper empfunden. Als das Kloster sie 1520 gegen den Wunsch des Rats, der einen Weltgeistlichen zum Pfarrer wünschte und Bartholomäus Müller dafür vorsah, mit einem Konventualen besetzte, brach der seit 1480 schwelende Streit der Abtei mit der Reichsstadt wieder aus. Alle Versuche des Rats, das Patronat zu erlangen, blieben aber bis 1566, also auch während der ganzen Reformationszeit, fruchtlos. Von großer Bedeutung für die Reformationsgeschichte wurde die Einrichtung einer 1422 erstmals urkundlich erwähnten Prädikatur mit Präsentationsrecht des Rats, die mit der Messpfründe an der Kapelle des Spitals vor den Stadtmauern verbunden war. Sie war vergleichsweise gut dotiert und ausgestattet und wurde immer mit graduierten Geistlichen besetzt. Trotz zweifellos vieler Missstände und Unzulänglichkeiten drängten die kirchlichen Verhältnisse, zusammenfassend gesagt, in Biberach an der Wende zur Neuzeit nicht zwingend auf eine so durchgreifende Veränderung, wie sie dann tatsächlich eintrat.

1.1: Anfangsphase der Reformation (1521-1527)

Nach den Annalen Heinrichs von Pflummern wurde Biberach "ungeforlich im 23 iar" erstmals mit der "Lutery" konfrontiert.(5) Gerade am Beispiel Biberachs wird die entscheidende Rolle deutlich, die der reformatorischen Predigt als Mittel, die Massen zu mobilisieren, zukam. Die Gestalt des "entlaufenen Mönchs"(6) Konrad Hermann alias "Schlupfetecks", der nach der Biberacher Überlieferung als Erster in der Reichsstadt im Sinne Luthers predigte, ist in vielem charakteristisch für diese Anfangszeit: in ihm tritt uns "der entwurzelte, unstete, nirgends Fuß fassende Propagandist der neuen Lehre"(7) entgegen. Der ehemalige Franziskaner kannte den Schweizer Reformator Huldrych Zwingli 1484-1531 und hatte sich frühzeitig dessen Lehre angeschlossen, die er als Prädikant im süddeutschen wie im Schweizer Raum verbreitete. Aus Reutlingen und Esslingen bereits vertrieben, kam er wohl um 1524/25 nach Biberach und schuf sich durch seine – von scharfen Angriffen gegen die alte Kirche erfüllten - Predigten in der Spitalkirche rasch eine große Zuhörer- und Anhängerschar. Hatte ihn der reichsstädtische Rat zunächst zum Prädikanten berufen, so verwies er ihn bald darauf unter nicht ganz geklärten Umständen der Stadt. Die Stadtobrigkeit suchte der reformatorischen Bewegung zunächst mit restriktiven Maßnahmen wie der Publizierung des Wormser Edikts und dem Verbot lutherischer Flugschriften Herr zu werden. Als er damit die Ausbreitung der neuen Lehre nicht stoppen konnte, ließ er den Dingen weitgehend ihren Lauf.

Von der Aufstandsbewegung des Bauernkriegs wurde auch die Reichsstadt Biberach erfasst, zumal die Bewegung im nördlichen Oberschwaben von ihrem Territorium, nämlich dem der Oberherrschaft des Spitals unterstehenden Dorf Baltringen, ausging. Den drei oberschwäbischen Haufen, darunter dem Baltringer, stand der Schwäbische Bund gegenüber. Während die Zunfthandwerker sich den Forderungen der Bauern anschlossen, hielt die reichsstädtische Oberschicht zu den bedrängten Territorialherren; der Rat verfolgte im Verein mit den Nachbarstädten eine Linie des Ausgleichs. Nachdem die aufständischen Bauernhaufen von friedlichen Machtdemonstrationen zu gewaltsamen Aktionen übergegangen waren, schlug der Schwäbische Bund die Erhebung blutig nieder. Gleichwohl konnte die ländliche Oppositionsbewegung den Weg zur Reformation in der Reichsstadt nicht entscheidend beeinflussen.

1.2: Bartholomäus Müller und der reformatorische Umbruch (1527-1531)

Prägenden Einfluss auf das Reformationsgeschehen der Reichsstadt gewann der bereits 1509 vom Rat auf die städtische Prädikatur angenommene Prediger Bartholomäus Müller ca. 1484-1553 (8) Als ranghöchster städtischer Geistlicher stand er während der gesamten Zeit des Übergangs zur neuen Lehre an der Spitze der Biberacher Kirche, dennoch erscheint es überzogen, ihn als den "Reformator Biberachs" zu bezeichnen. In Ulm geboren, stammte er wohl aus Zunftkreisen.(9) Während seines Studiums an der Universität Heidelberg, wo er 1501 den Magistergrad erwarb, schloss er sich der Richtung der "via moderna" an und wurde wahrscheinlich auch vom Heidelberger Frühhumanismus beeinflusst.(10) Über seine gelehrten Beziehungen(11) kam er frühzeitig mit reformatorischem Gedankengut in Kontakt. Spätestens im Herbst 1524 hatte er sich für die Sache Luthers entschieden.

Der Durchbruch der Reformation vollzog sich auch in Biberach als "Desakralisierung", als schleichender, von breiten Bevölkerungsschichten getragener Prozess der Abkehr vom überkommenen Kultus. Hierin folgte die Gemeinde ihren Predigern, allen voran Bartholomäus Müller. Der Rat reagierte auf den reformatorischen Druck von unten mit der stärkeren Einbindung des Klerus in die Bürgerschaft, indem er ihm – unter Missachtung des "Privilegium fori" – das Bürgerrecht mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten verlieh und ihn damit seiner Gerichtsbarkeit unterstellte. Damit war der Konflikt mit dem zuständigen Ortsbischof von Konstanz und dem Patronatsherrn Kloster Eberbach vorprogrammiert.

Stand in den ersten Jahren der reformatorischen Bewegung in Biberach naturgemäß ganz die Person Luthers im Mittelpunkt, so machte sich seit Mitte der 20er Jahre mehr und mehr der Einfluss Zwinglis bemerkbar. Bartholomäus Müller bekannte sich offen zur oberdeutsch-schweizerischen Richtung. Als sich der Zürcher Reformators 1529/30 auf der Suche nach Bundesgenossen brieflich an die Biberacher wandte, verfasste Müller am 30. Januar 1530 ein eigenhändiges Antwortschreiben, das erhalten geblieben ist.(12) Aus ihm geht hervor, dass bereits seit einiger Zeit Kontakte zwischen beiden Männern über Zwinglis Famulus Hieronymus Gunz, einen gebürtigen Biberacher, bestanden. Bis 1531 dominierte nun die zwinglianische Richtung in der Biberacher Reformationsbewegung.

Dem weltgeschichtlich bedeutsamen Speyerer "Protestationsreichstag" von 1529 blieb Biberach fern, beteiligte sich jedoch an den Bündnisverhandlungen der oberdeutschen Städte im selben Jahr und schloss sich in enger Anlehnung an Ulm mehr und mehr dem protestantischen Lager an. Im Zusammenhang mit dem Augsburger Reichstag von 1530 fiel Biberachs Entscheidung für die Reformation. Nach anfänglich zögernd-unentschlossener Haltung rang sich die Reichsstadt im Verlauf der Verhandlungen zur Ablehnung des reformationsfeindlichen Reichsabschieds durch, auch wenn durch ein Versehen des Reichstagsdirektoriums die Namen ihrer Gesandten unter das Dokument gesetzt wurden. Im Herbst 1530 wurden auf verfassungspolitischem Gebiet die entscheidenden Weichen gestellt: zunächst setzten sich bei der jährlichen Neuwahl der Ratsstellen und städtischen Ämter die Anhänger der Reformation durch, dann brachte ein nach dem Muster anderer Reichsstädte, darunter auch Ulms, durchgeführtes Plebiszit die endgültige Entscheidung: Mit überwältigender Mehrheit lehnte die Bürgerschaft den Augsburger Reichstagsabschied ab; nur 70 Einwohner – davon 13 Kleriker, 14 Patrizier und 43 Zunftbürger – sprachen sich für ihn aus. Die Frontstellung war damit klar: einer zahlenmäßig keinen Gruppe aus Klerus, Patriziat und einzelnen wohlhabenden Zünftlern vor allem aus der Schneiderzunft, die an der alten Lehre festhielt, stand die "Gemeinde" der Zunftbürger gegenüber, die sich fast ausnahmslos der Reformation angeschlossen hatte. Diese nahm im ausschlaggebenden Moment das Heft in die Hand und zwang den zuvor lange zögernden Rat zu den entschiedenen Schritten zur Einführung der neuen Lehre.

1.3: Institutionalisierung der Reformation (1531-1545)

Vorbereitet durch die Weichenstellungen des Spätjahrs 1530, führte der Rat im folgenden Jahr "offiziell" die Reformation in der Reichsstadt ein. Mit dem Beitritt zum Schmalkaldischen Bund am 27. Februar 1531 verschaffte sich die Reichsstadt Rückendeckung bei den protestantischen Ständen für die folgenden Schritte zur Beseitigung des alten Kirchenwesens. Am 11. April 1531 untersagte der Kleine Rat – mit Zustimmung des Großen Rats – der Priesterschaft die Feier der heiligen Messe. Wie in den meisten oberdeutschen Städten wurden auch in Biberach vom 29. Juni 1531 an die religiösen Bildwerke systematisch aus den Kirchen entfernt und mehrere Kapellen zerstört – ein Vorgang, der allerdings immer unter obrigkeitlicher Kontrolle stand und mit dem Wort "Bildersturm" nur ungenau beschrieben ist.

Die Neuordnung des Kirchenwesens wurde von Bartholomäus Müller nach Ulmer Vorbild durchgeführt. Ihm assistierten dabei mehrere Geistliche, darunter seit 1530 der aus Göppingen stammende Martin Cless, der allerdings 1536 nach Württemberg zurückkehrte. Unterstützung erhielt Müller von den prominenten Theologen Johannes Oekolampad 1482-1531 aus Basel und Martin Bucer 1491-1551 aus Straßburg, die zwischen der lutherischen und zwinglianischen Richtung vermitteln wollten. Am 4. oder 5. Juli 1531 trafen sie von Ulm, wo sie zuvor mit Ambrosius Blarer 1492-1564 und unter Mithilfe von Bartolomäus Müller das Reformationswerk auf den Weg gebracht hatten, in Biberach ein. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt stand ein Examen der Geistlichen nach Ulmer Vorbild: sämtliche Priester und Terziarinnen wurden in Gegenwart der auswärtigen und einheimischen Prädikanten über ihre Haltung zur Reformation befragt. Bei Ihrer Abreise schon am 9. Juli 1531 konnten sie befriedigt konstatieren, dass man in Biberach "götzen und mess abgethon und christliche zucht dapfer an die handt genommen" habe.(13) Im Gottesdienst wurde gegen den Widerstand von Teilen der Gemeinde die symbolische Abendmahlslehre maßgeblich.

Seit 1531 wurde die Reformation durch den Rat, der das Kirchenregiment entschlossen in die Hand nahm, zügig durchgeführt und das Kirchenwesen der Reichsstadt von Grund auf neu geordnet. Meilensteine auf dem Weg zu einem eigenständigen Kirchenwesen unter der Oberhoheit des Rats waren die Einführung der Schweizer Kirchenordnung und die Errichtung eines Ehegerichts nach Zürcher Vorbild. Alle Vermögen und Einkünfte der alten Kirche, insbesondere auch diejenigen aus Messstipendien und anderen Stiftungen, wurden eingezogen und in einen zentralen kirchlichen Fonds, die Betteltruhe oder den Almosenkasten, überführt. Der Predigtgottesdienst trat an die Stelle der Messe. Die Zahl der Geistlichen wurde gegenüber der Vorreformationszeit radikal reduziert: Das "Ministerium" bestand nur noch aus sieben Predigern (Prädikanten), darunter zwei "Helfern". Seit 1535 führte die Reichsstadt auch in ihrem Landgebiet - d. h. in den Dörfern, in denen der Spital oder ein städtischer Bürger Ortsherrschaft und Patronat besaß - die Reformation durch und setzte dort evangelische Prediger ein.

Mit der Einführung der Reformation ging auf verfassungspolitischem Gebiet eine schrittweise Verdrängung der Altgläubigen aus dem Kleinen Rat Hand in Hand. Bei den jährlichen Ratswahlen verschob sich das politische Gewicht zugunsten der Zünfte, während das Patriziat an Einfluss verlor, sein katholischer Flügel sogar ganz aus den städtischen Entscheidungsgremien, zu denen seit 1531 der vor allem mit außenpolitischen Fragen wie Bündnisverhandlungen befasste Geheime Rat hinzugekommen war, verdrängt wurde. Dennoch kam es in den Reformationsjahren zu keiner echten Demokratisierung der Stadtherrschaft; bestimmend blieb eine zünftische Oberschicht, die sich mit dem evangelischen Teil des Patriziats verbündete.

Die Reformation blieb auf die Stadt Biberach und Teile ihres Territoriums beschränkt. Österreich behauptete in den Reformationsjahrzehnten die Vorherrschaft in Oberschwaben und wusste durch sein Klientensystem zu verhindern, dass die reformatorische Bewegung das reichsstädtische Territorium überschritt. Als wichtigste Antipoden der Reichsstadt erwiesen sich die österreichische Landvogtei in Oberschwaben und die Herrschaft Mittelbiberach-Warthausen.

In den anderthalb Jahrzehnten seit der offiziellen Einführung der Reformation näherte sich Bartholomäus Müller wie die meisten oberdeutschen Theologen mehr und mehr dem "Kompromissluthertum" an. Im "Biberacher Abendmahlsstreit" (1543-1545) wurde der Prediger Benedikt Widmann, der die Basler Position einnahm und behauptete, Christus sei im Abendmahl lediglich in seiner göttlichen Natur präsent, von seinen Biberacher Amtskollegen, unter denen der junge Lutherschüler Jakob Schopper den alternden Bartholomäus Müller eindeutig in den Schatten stellte, heftig attackiert. Der Streit wurde schließlich von dem Ulmer Prädikanten Martin Frecht 1494-1556 im Bucerschen Sinne entschieden. Seit August 1546 war Müller offensichtlich krank und dienstunfähig. Sein Tod im Jahr 1553 fiel bereits in die folgende, nachreformatorische Epoche.

1.4: Interim, Verfassungsänderung Karls V., Fürstenaufstand und Augsburger Religionsfriede: Der Weg zur Bikonfessionalität (1548-1555)

Trotz vollständiger Durchführung der Reformation wurde Biberach keine rein evangelische Reichsstadt, sondern ging über die Bikonfessionalität von Katholiken und Lutheranern den Weg zur – im Westfälischen Frieden von 1648 besiegelten - numerischen Parität. Zwei Faktoren waren für diese Sonderentwicklung ausschlaggebend:

In der Reichsstadt konnte sich eine zahlenmäßig nicht starke, aber einflussreiche katholische Minderheit halten. Ein Teil des Biberacher Patriziats – allerdings nicht die Mehrheit - blieb aufgrund persönlicher Bindungen und seiner guten Beziehungen zum katholisch gebliebenen Umland dem alten Kirchenwesen treu; auch fügten sich die Terziarinnen nicht dem reformatorischen Druck.

Das Kloster Eberbach blieb – obwohl der Pfarrer nicht mehr in Biberach bleiben konnte, sondern in Rissegg residierte - im Besitz der Pfarrrechte an St. Martin, so dass die Pfarrei der evangelischen Stadt nach wie vor einer katholischen Institution inkorporiert war.

Damit waren Ansatzpunkte für eine Gegenreformation gegeben. Zunächst wurde die Reichsstadt als Bundesmitglied in die Katastrophe der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg hineingezogen. Mehrere Eingriffe des Kaisers als obersten Stadtherren in die innere Verfassung der Stadt führten zur grundlegenden Veränderung der religiös-konfessionellen wie verfassungspolitischen Rahmenbedingungen. Am 3. Juni 1548 musste die Stadt die vom Kaiser verordnete Zwischenreligion des Interims annehmen. Unter dem Vorwand der Befolgung des Interims setzte auf altgläubiger Seite bald eine schleichende Rekatholisierung ein. Am 13. August wurde von dem aus Rissegg zurückgekehrten Pfarrvikar in der Biberacher Pfarrkirche erstmals seit 17 Jahren wieder eine katholische Messe gelesen - der Beginn eines jetzt schon über 400 Jahre lang bis in die Gegenwart andauernden Simultaneums an dieser Kirche. Durch Artikel 27 des Augsburger Religionsfriedens von 1555 wurde die Bikonfessionalität Biberachs reichsrechtlich festgeschrieben.

2. Isny

Die kleine, aber geistig sehr rege Reichsstadt Isny fühlte sich "frustriert" und territorial eingeengt. Größtenteils von der Herrschaft Zeil-Trauchburg, sonst von vorderösterreichischem Besitz umgeben, hatte sie nie ein eigenes Herrschaftsgebiet erwerben können. Hinzu kam die Konkurrenz mit dem Benediktinerkloster St. Georg innerhalb der Stadtmauern, über das Zeil-Trauchburg die Vogtei ausübte. Von den Stadtbürgern wurde es "wie ein Pfahl im Fleische" empfunden. Es hatte seit 1396 das Patronatsrecht über die Pfarrkirche ebenso wie über sämtliche Kaplanspfründen – sieben an der Pfarrkirche, vier im Spital und an der Ölbergskapelle und zwei Helfer – inne.

Wie in Biberach kommt auch in Isny der Stiftung einer Prädikaturpfründe im Spätmittelalter entscheidendes Gewicht für die Reformationsgeschichte zu. Dem Stiftungsbrief des Konstanzer Domherren Hans Guldin von 1465 zufolge, der am 22. April 1472 durch die Stadt bestätigt wurde, mussten die Inhaber der Predigerstelle an der Universität ausgebildete Theologen sein, die einen akademischen Grad erworben hatten. Damit wurden die Prädikaturen zu "Eingangspforten für die damalige modernen Theologie in die Städte und ihre Bürgerschaft".

1. Erste reformatorische Ansätze

Auch in Isny fand reformatorisches Gedankengut schon früh Eingang, ohne dass wir den genauen Zeitpunkt kennen. Am 5. Juli 1524 nahm die Stadt auf dem Leutkircher Tag altgläubiger Stände und Städte den Abschied, der einen strengen Vollzug des reformationsfeindlichen Reichsmandats vom 18. April des Jahres anordnete, nur mit Vorbehalt zur Kenntnis und unterschrieb ihn nicht – ein Indiz dafür, dass sie sich der reformatorischen Bewegung bereits geöffnet hatte. Der Bauernkrieg erfasste auch die Gegend um Isny. Als am 3. April 1525 der Bauernhaufe bedrohlich vor der Stadt erschien, fürchtete man dort einen Angriff auf das Kloster. Der Abt suchte Zuflucht bei der Stadt und bat sie, das Kloster in Schirmherrschaft zu nehmen, was der reichsstädtischen Obrigkeit nur gelegen kam. Sie legte eine Besatzung ins Kloster und ließ sich die Schlüssel übergeben. Damit waren dem Abt die Hände gebunden, was man sich in der Reichsstadt zu Nutze machte. An Ostern 1525 wurde in der Pfarrkirche erstmals durch Pfarrer Nikolaus Steudlin und seine Helfer das Abendmahl unter beiderlei Gestalten ausgeteilt. Die treibende Kraft wird wohl weniger Steudlin als der Prädikant Konrad Frick gewesen sein. Die Stadt nahm den Vorfall zum Anlass, um sich des wegen seines ärgerlichen Lebenswandels längst in Misskredit geratenen Steudlins zu entledigen. Der Rat enthob ihn seines Amts und ließ ihn aus unbekannten Gründen ins Gefängnis werfen, wo er am 24. Juli 1525 starb. Die Unruhen akzentuierten und verschärften den Gegensatz zwischen Kloster und Stadt.

2: Isny

Die kleine, aber geistig sehr rege Reichsstadt Isny(14) fühlte sich "frustriert"(15) und territorial eingeengt. Größtenteils von der Herrschaft Zeil-Trauchburg, sonst von vorderösterreichischem Besitz umgeben, hatte sie nie ein eigenes Herrschaftsgebiet erwerben können. Hinzu kam die Konkurrenz mit dem Benediktinerkloster St. Georg(16) innerhalb der Stadtmauern, über das Zeil-Trauchburg die Vogtei ausübte. Von den Stadtbürgern wurde es "wie ein Pfahl im Fleische" empfunden.(17) Es hatte seit 1396 das Patronatsrecht über die Pfarrkirche ebenso wie über sämtliche Kaplanspfründen – sieben an der Pfarrkirche, vier im Spital und an der Ölbergskapelle und zwei Helfer – inne.(18)

Wie in Biberach kommt auch in Isny der Stiftung einer Prädikaturpfründe im Spätmittelalter entscheidendes Gewicht für die Reformationsgeschichte zu. Dem Stiftungsbrief des Konstanzer Domherren Hans Guldin von 1465 zufolge, der am 22. April 1472 durch die Stadt bestätigt wurde, mussten die Inhaber der Predigerstelle an der Universität ausgebildete Theologen sein, die einen akademischen Grad erworben hatten. Damit wurden die Prädikaturen zu "Eingangspforten für die damalige modernen Theologie in die Städte und ihre Bürgerschaft".(19)

2.1: Erste reformatorische Ansätze

Auch in Isny fand reformatorisches Gedankengut schon früh Eingang, ohne dass wir den genauen Zeitpunkt kennen. Am 5. Juli 1524 nahm die Stadt auf dem Leutkircher Tag altgläubiger Stände und Städte den Abschied, der einen strengen Vollzug des reformationsfeindlichen Reichsmandats vom 18. April des Jahres anordnete, nur mit Vorbehalt zur Kenntnis und unterschrieb ihn nicht – ein Indiz dafür, dass sie sich der reformatorischen Bewegung bereits geöffnet hatte.(20) Der Bauernkrieg erfasste auch die Gegend um Isny. Als am 3. April 1525 der Bauernhaufe bedrohlich vor der Stadt erschien, fürchtete man dort einen Angriff auf das Kloster. Der Abt suchte Zuflucht bei der Stadt und bat sie, das Kloster in Schirmherrschaft zu nehmen, was der reichsstädtischen Obrigkeit nur gelegen kam. Sie legte eine Besatzung ins Kloster und ließ sich die Schlüssel übergeben. Damit waren dem Abt die Hände gebunden, was man sich in der Reichsstadt zu Nutze machte. An Ostern 1525 wurde in der Pfarrkirche erstmals durch Pfarrer Nikolaus Steudlin und seine Helfer das Abendmahl unter beiderlei Gestalten ausgeteilt. Die treibende Kraft wird wohl weniger Steudlin als der Prädikant Konrad Frick gewesen sein. Die Stadt nahm den Vorfall zum Anlass, um sich des wegen seines ärgerlichen Lebenswandels längst in Misskredit geratenen Steudlins zu entledigen.(21) Der Rat enthob ihn seines Amts und ließ ihn aus unbekannten Gründen ins Gefängnis werfen, wo er am 24. Juli 1525 starb. Die Unruhen akzentuierten und verschärften den Gegensatz zwischen Kloster und Stadt.

2.2: Konrad Frick als Schlüsselfigur der Isnyer Reformationsgeschichte

Eine ausschlaggebende Rolle in der Anfangsphase der Reformation in Isny spielte Konrad Frick(22), der die Prädikantenstelle seit dem 18. Juni 1518 innehatte. Wo er den akademischen Grad eines Magisters erworben hatte, ist unbekannt. Es scheint jedoch ziemlich sicher, dass er humanistisch gebildet war. Wie die etwa 44 zwischen 1517 und 1529 erschienenen Schriften wichtiger Reformatoren wie Luther, Zwingli, Ökolampad, Capito und anderer in seinem Besitz belegen(23), entschied er sich früh für die Sache Luthers. Damit reiht sich Frick in die lange Reihe der Prädikanten ein, die zu ersten Trägern und Verkündern der neuen Gedanken wurden. Ihm kam dabei zugute, dass er, im Gegensatz zum Vikar an der St. Nikolauskirche, als Prädikant vom Abt unabhängig war.

Mit der Amtsenthebung Steudlins meldete der Rat seinen Anspruch auf eine Neubesetzung der Pfarrstelle in seinem Sinne und darüber hinaus auf eine Neugestaltung des gesamten Kirchenwesens der Reichsstadt an. Mit seinem Vorschlag, Frick oder dessen Helfer Wolfgang Gasser für ein halbes Jahr die Leitung der Pfarrei anzuvertrauen, konnte er sich freilich beim Abt, der beide wegen ihrer reformatorischen Neigungen ablehnte, nicht durchsetzen. Umgekehrt scheiterten alle Versuche des Abts, den katholischen Kultus in der Pfarrkirche aufrecht zu erhalten, am Widerstand Fricks und seines Helfers. Als der vom Abt eingesetzte Prediger M. Hans Waldvogel am 11. Februar 1526 in der Frühe seinen Zuhörern das Fastengebot einschärfte, erklärte Frick in seiner Nachmittagspredigt alles, was vormittags verkündet worden war, für eine Lüge und veranlasste damit Waldvogel nach nur 16 Wochen Wirksamkeit zum Wegzug. Die Klagen des Klostervogts und des Konstanzer Bischofs beim Schwäbischen Bund gegen die Behinderungen des katholischen Gottesdienstes in der Pfarrkirche wurden verschleppt und auf den Reichstag verwiesen. Mit stillschweigender Billigung des Rats gelang es Frick mit seinen Helfern unterdessen, den evangelischen Gottesdienst auf- und auszubauen. Motor der neuen Bewegung in dieser Anfangsphase war neben Frick der reiche Handelsherr Peter Buffler, der über seinen Bruder in Nürnberg über die Lage der Evangelischen im Reich auf dem Laufenden gehalten wurde.

Die reformatorische Bewegung in Isny gewann zusätzlichen Auftrieb, als dem jungen Gelehrten Paul Fagius 1504-1549 sup id="back-268-24">(24) aus Rheinzabern in der Pfalz, der in Heidelberg studiert, sich anschließend in Straßburg bei Wolfgang Capito 1478-1541 in Hebraistik weitergebildet und sich dort mit Martin Bucer angefreundet hatte, auf dessen Empfehlung hin die Rektorenstelle der Lateinschule übertragen wurde. Er zählte zu den geistig führenden Köpfen der Reformationsbewegung in der Reichsstadt, wurde später für fünf Jahre (1537-1542) Pfarrer der evangelischen Gemeinde und bekannt durch seine Druckerei, in der er erstmals in Deutschland (insgesamt 20) hebräische Texte drucken ließ. Auf der Berner Disputation vom 7. – 26. Januar 1528, der "großen Heerschau Zwinglis"(25), war Isny durch Fagius vertreten, dem der Schweizer Reformator ein aufmunterndes Schreiben an Frick mitgab.(26) Auch in den folgenden Jahren blieb die Verbindung mit Zwingli erhalten.

Wie Isny sich auf dem Speyerer Reichstag von 1526 verhalten hat, ist nicht bekannt. 1529 gehörte es jedoch zu den insgesamt 14 Reichsstädten(27), die am 19. April in Speyer zusammen mit fünf Fürsten gegen den Reichstagsabschied, der weitere Neuerungen auf religiösem Gebiet untersagte, protestierten.(28) Dies zeigt, dass die Reformationsbewegung damals in der Stadt schon weit fortgeschritten war. Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 schloss sich Isny, dem Vorbild Ulms und Biberachs folgend, weder der Confessio Augustana noch der "Tetrapolitana" an.

2.3: Einführung der neuen Lehre unter vorherrschendem schweizerisch-zwinglianischem Einfluss

Bisher hatte der lutherisch-zwinglianische Gegensatz innerhalb des Protestantismus einen Anschluss Isnys an den Schmalkaldischen Bund, der die nötige außenpolitische Rückendeckung verschaffen konnte, verhindert. Bei den Verhandlungen der oberdeutschen Städte ließ sich Isny meist durch Ulm vertreten. Eine Reise des zwischen beiden Richtungen vermittelnden Straßburger Theologen Martin Bucer durch die oberdeutschen Städte, die ihn zu Beginn des Oktober 1530 nach Isny führte, brach das Eis. Bucer konnte auch Frick für seine Ziele gewinnen. Am 12. Oktober 1530 forderte er von Zürich aus Ambrosius Blarer und Johannes Zwick ca. 1496-1542 in Konstanz auf, auch ihrerseits Frick anzuspornen und ihn zu ermutigen, das Abendmahl an Ostern nach evangelischem Ritus zu feiern.(29) Schließlich trat Isny am 2. Februar 1531 dem Schmalkaldischen Bund offiziell bei.(30) Am 27. Februar versicherte sich die Reichsstadt auf einem Theologentag in Memmingen auch des Beistands der benachbarten oberdeutschen Städte in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kloster.

Damit konnte es die Reichsstadt wagen, die entscheidenden Schritte zur Einführung der neuen Lehre zu unternehmen. Am 10. März 1531 wurden die drei Kapläne an der Pfarrkirche vor den Rat geladen und zur Einstellung der Messe aufgefordert. Am Tag darauf legte die Stadt vor dem Abt des Klosters förmlichen Protest dagegen ein, dass dieser keinen evangelischen Pfarrer bestelle und für das Kloster einen Priester seines Willens berufen habe. Damit hatte sich der Rat der Reichsstadt öffentlich und unzweideutig zur Reformation bekannt.

Beim Aufbau des neuen Kirchenwesens wollte sich auch Isny wie Biberach der Unterstützung bedeutender auswärtiger Reformatoren versichern. Nach Absagen von Bucer und Ökolampad dauerte es allerdings noch anderthalb Jahre, bis es Ambrosius Blarer möglich war, ab dem 14. September 1532 für mehrere Monate in der Reichsstadt zu wirken.(31) Dort hatte der Aufbau der evangelischen Gemeinde inzwischen zwar große Fortschritte gemacht, jedoch schob der Stadtschreiber die von Blarer geforderte Abschaffung des katholischen Kultus im Kloster und in allen Kirchen der Stadt aus politischer Rücksichtnahme heraus. Während seines Isnyer Aufenthalts hatte Blarer allerdings auch nähere Bekanntschaft mit dem wohlhabenden und einflussreichen Handelsherrn Peter Buffler geschlossen. Auf Anregung von Blarer und Bucer riefen die Brüder Peter und Jos Buffler am 14. April 1534 eine große Schul- und Lehrstiftung mit einem Stiftungskapital von 3400 Gulden ins Leben. Je einem Theologiestudenten aus Konstanz, Lindau, Isny und Biberach gewährten sie damit jährlich ein Stipendium von 30 Gulden, ein weiteres musste jede Stadt selbst bestreiten. Damit sollte nach Zürcher Vorbild der Theologennachwuchs gesichert werden.

Durch die Rückkehr Herzog Ulrichs von Württemberg in sein Land änderten sich 1534 die äußeren Rahmenbedingungen auch für die oberdeutschen Reichsstädte entscheidend: inmitten ihrer meist katholischen Umgebung gewannen sie neuen Rückhalt, nachdem der Schwäbische Bund, bisher eine Bastion der alten Lehre und Gegengewicht gegen den Schmalkaldischen Bund, zerfallen war. Am 27. Juni 1534 erschien eine stattliche Abordnung aus der Reichsstadt, der auch Frick, Fagius und der Helfer Wolfgang Gasser angehörten, vor dem Abt.(32) Der seit 1530 in Isny lebende ehemalige Prokurator am kaiserlichen Kammergericht, Dr. Jakob Kröl, forderte als ihr Wortführer die Abschaffung von Messe und Bildern im Kloster, sonst müsse der Rat seiner Pflicht als christliche Obrigkeit nachkommen. Wenige Tage später erneuerte eine jetzt 40-köpfige Delegation dieses Ansinnen und drohte nun offen mit dem Eingreifen der Stadt. Unter Berufung auf den Reichstag war der Abt zum freiwilligen Einlenken nicht bereit, er ließ jedoch das Läuten der Glocken einstellen und ordnete stillen Gottesdienst an. Die Prediger forderten am folgenden Sonntag auf der Kanzel leidenschaftlich ein offenes Vorgehen der Stadt. Daraufhin drangen am kommenden Montag während des Gottesdienstes Isnyer Bürger mit Äxten, Beilen und Hämmern bewaffnet, in das Kloster ein. Sie entfernten alle Bilder aus der Klosterkirche, brachten sie, der Anweisung des Rats folgend, in die Frauenkapelle nebenan und deckten die Altäre. Wie in Biberach handelte es sich allerdings auch hier nicht um bloßen Vandalismus.

Der Klostersturm - angesichts der erst 1531 bestätigten reichsunmittelbaren Stellung der Abtei formal sicherlich ein Rechtsbruch – zog einen Prozess am Reichskammergericht nach sich, bei dem der Schmalkaldische Bund der Stadt Beistand gewährte. Der Abt, der anfangs das Kloster verlassen wollte, entschloss sich schließlich doch zum Ausharren, war jedoch nicht bereit, den evangelischen Pfarrer aus dem von ihm erhobenen Zehnten zu besolden.(33) Die bisher nach Isny eingepfarrten Orte wurden neuen Pfarreien zugeteilt; in den kommenden zwölf Jahren fanden Gottesdienste in der Klosterkirche nur bei verschlossenen Türen statt.

2.4: Konsolidierung der neuen Lehre

Nachdem sich der reichsstädtische Rat in religiös-konfessionellen Fragen so eindeutig gegen das Kloster durchgesetzt hatte, vollzog sich in der Folgezeit der Aufbau eines evangelischen Gemeindelebens und Kirchenwesens in der Reichsstadt. Auf einer Rundreise durch Schwaben hatte Frick hierzu nähere Informationen gesammelt und neue Bekanntschaften geschlossen. Nach dem Tod Zwinglis in der Schlacht bei Kappel am 11. Oktober 1531 war der schweizerische Einfluss auf die oberschwäbischen Reichsstädte zugunsten von Straßburg, das eine Einigung aller Evangelischen betrieb, zurückgedrängt worden. Auf Bitten Bufflers schaltete sich Bucer 1535 aktiv in den Prozess der innerstädtischen Reformation ein und besuchte mehrfach Isny, um auf Frick und Fagius mäßigend einzuwirken.(34) Dennoch schloss sich Isny nur zögernd dem Ausgleich zwischen lutherischer und zwinglianischer Abendmahlslehre in der Wittenberger Konkordie von 1536 an.

Am 1. Mai 1544 wurde eine neue Stadtordnung erlassen, aus der hervorgeht, dass man in Isny an der spätmittelalterlichen Tradition obrigkeitlicher Sittenzucht festhielt, jedoch kein eigenes Gremium in der Stadtverwaltung dafür schuf. In der Einleitung wird auf eine bereits bestehende christliche Kirchen- und Zuchtordnung hingewiesen. Sie stimmt fast wörtlich mit der Memminger Ordnung überein und könnte schon Anfang 1533 in Isny eingeführt worden sein. Ausübendes Gremium waren die Kirchenpfleger, die von Bürgermeister, Rat und Gemeinde aus ihrer Mitte gewählt wurden und in der Regel einmal wöchentlich unter Hinzuziehung der Prädikanten und des lateinischen und deutschen Schulmeisters zusammentraten und berieten. Sie waren nicht nur zu disziplinären Maßnahmen je nach Schwere der Verfehlung berechtigt, sondern ihnen oblag auch die Vorberatung in Kirchenangelegenheiten. Allerdings scheint diese Kirchen- und Zuchtordnung bald in Abgang gekommen zu sein, zumal der Rat von vornherein seine Zuständigkeit in Fragen der Zuchtübung zu sichern gewusst und seinen Anspruch auf Leitung des jungen Kirchenwesens erhoben hatte. Erst 1566 wurde nach Lindauer Vorbild ein Ehegericht eingerichtet. Die Verwendung des Kirchenguts lässt aus den überaus spärlichen Quellen schwer rekonstruieren. Die meisten Pfründengüter scheinen karitativen Zwecken zugeführt worden zu sein.

Es war ein Glücksfall für Isny, dass es in den Jahren der Reformation auf tüchtige Laie(35)n und Pfarrer zurückgreifen konnte. Neben den bereits ausführlich gewürdigten Geistlichen Frick und Fagius trifft dies auch auf den gebürtigen Lindauer Johannes Marbach 1521-1581 zu, der Fagius 1543 im Amt des Pfarrers nachfolgte. Wegen seines Festhaltens an "Ceremonien" wie der Privatbeichte oder der Absolution vor dem Abendmahl geriet der Lutherschüler Marbach in Konflikt mit seinen – trotz des Bekenntnisses der Stadt zur Wittenberger Konkordie – immer noch stark an der schweizerischen Theologie orientierten Amtskollegen.(36) Er verließ Isny schon 1545 in Richtung Straßburg. Nach längerer Suche verpflichtete der Rat Benedict Burgauer 1494-1567 aus St. Gallen als seinen Nachfolger, der nach einem unsteten Wanderleben über zwei Jahrzehnte – unterbrochen von einer Ausweisung im Gefolge des Interims - als Pfarrer in Isny blieb.

2.5: Ausblick: Nebeneinander von evangelischer Reichsstadt und katholischem Kloster

Als sich im Juni 1546 die Lage auf eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Kaiser und den Schmalkaldenern zuspitzte, ging der Rat erneut gegen das Kloster vor. Am 23. Juli wurde es im Namen des Schmalkaldischen Bundes besetzt. Den Mönchen wurden acht Tage später das kanonische Stundengebet untersagt und der Besuch des evangelischen Gottesdiensts vorgeschrieben, schließlich eine achtköpfige Besatzung in das Kloster gelegt. Aber auch Isny wurde in den Strudel der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes hineingezogen. Am 16. Januar 1547 musste dies die Reichsstadt ebenfalls vor dem Kaiser in Heilbronn mit Fußfall und Abbitte eingestehen. Trotz immenser finanzieller Belastungen durch Kriegskosten, Strafgelder und Schadensersatzsprüche wollte Isny den Forderungen des Klostervogts auf Herausgabe des Klosters nicht nachgeben. Auch auf ein kaiserliches Mandat wollte sie zunächst nur den katholischen Gottesdienst darin zugestehen; erst am 20. Mai 1548 kam ein Vergleich zustande.(37) Demzufolge musste die Reichsstadt die Brandschatzung von 1000 Gulden ersetzen, dem Kloster das abgenommene Silber und die Kleinodien, Urkunden und Urbare zurückgeben und dem Truchsessen 650 Gulden Entschädigung für die Verletzung seiner Rechte zahlen, im Übrigen aber die Abtei unbehelligt lassen.

Offenen Widerstand gegen das Interim konnte die Reichsstadt unter diesen Voraussetzungen nicht leisten. Am 2. August 1548 erklärte sie die Annahme, zögerte aber die praktische Umsetzung der Interimsbestimmungen hinaus. Erst kaiserliches Drängen veranlasste sie Ende 1548 zu konkreten Schritten: am 22. Oktober musste der Pfarrer Benedict Burgauer die Stadt verlassen, und am 28. November wurde in der Pfarrkirche in Anwesenheit der Äbte von Kempten und Weingarten und des Truchsessen Wilhelm das erste Amt feierlich gesungen.

Der Fürstenaufstand von 1552, dem sich auch Isny anschloss, führte in kurzer Zeit zu einer durchgreifenden Veränderung der kirchlich-religiösen Verhältnisse in der Stadt: der Abt musste die Pfarrkirche zurückgeben, in der am 29. Mai wieder der erste evangelische Gottesdienst stattfand. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 garantierte den Fortbestand der rein evangelischen Reichsstadt wie des Klosters innerhalb der Stadtmauern bis zum Ende des Alten Reiches.

3: Ravensburg

Ravensburg von Nordwesten vor 1647, Kupferstich von Matthäus Merian

Gemeinfrei

In Ravensburg(38) vollzog sich der reformatorische Durchbruch wesentlich später als in Biberach und in Isny. Im beginnenden Reformationszeitalter befand sich die Reichsstadt in einer Phase wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umstrukturierung.(39) Die beiden Hauptkirchen – Liebfrauen und St. Jodok – waren den nahe gelegenen Reichsabteien Weingarten und Weißenau inkorporiert. Eine sehr wichtige Rolle im religiösen Leben der Stadt spielte das Karmelitenkloster, das mit vielen Stiftungen aus dem Patriziat und gehobenen Bürgertum bedacht wurde. Schon im Spätmittelalter suchte der Rat die Sonderstellung des Klerus in der Stadtgesellschaft abzubauen und die Geistlichen in das Bürgerrecht zu integrieren, um die seelsorgliche Betreuung der Stadtgemeinde zu sichern. Außenpolitisch hatte sich der Spielraum der Reichsstadt seit Ende des 15. Jahrhunderts in dem Maße verengt, wie Habsburg seine Macht im nördlichen Bodenseeraum, insbesondere seit dem endgültigen Erwerb der Reichslandvogtei in Ober- und Niederschwaben 1486, zielstrebig ausbaute.(40)

3.1: Altgläubiger Kurs des Rates in den ”Reformationsjahrzehnten” der 1520er und 1530er Jahre

Die – im Falle Ravensburgs besonders ausgeprägte - Übermacht der katholischen Territorien des Umlands, bei denen das konservative reichsstädtische Patriziat einen starken Rückhalt fand, und das Fehlen scharfer sozialer Gegensätze im Innern führten dazu, dass reformatorisches Gedankengut in der Bürgerschaft wesentlich langsamer Eingang fand als in den meisten anderen oberdeutschen Reichsstädten und Ravensburg im Jahrzehnt von 1530 bis 1540 äußerlich eine katholische Stadt blieb. Schon im Bauernkrieg von 1524/25 war der revolutionäre Funke nicht auf die Stadtbevölkerung übergesprungen, obwohl Ravensburg in einer der vom Aufstand am meisten betroffenen Gegenden des Reichs lag. Gleichwohl wurden in dieser Zeit erstmals größere Teile der Bürgerschaft über die humanistisch gebildete Oberschicht des Zunftbürgertums mit reformatorischen Gedanken konfrontiert.

Außenpolitisch orientierte sich die Reichsstadt auch während des Speyerer "Protestationsreichstags" von 1529 und des Augsburger Reichstags von 1530 weiterhin am Kaiser und den altgläubigen Ständen – mit der Folge einer fortschreitenden Isolierung nach dem Übergang der meisten oberdeutschen Städte zur Reformation. Im Innern verfolgte der Rat hingegen eine zunehmend obrigkeitliche Kirchenpolitik, die sich – etwa beim Erlass der Zuchtordnung von 1532(41) - selbst vor dem Rückgriff auf das Vorbild protestantischer Städte nicht scheute.

3.2: Später Durchbruch der reformatorischen Bewegung in den Jahren 1544-1546

Paradoxerweise wurde der Umschwung hin zur Reformation in Ravensburg ausgerechnet von der Institution ausgelöst, in der die altgläubigen Kräfte in der Reichsstadt jahrzehntelang ihren größten Rückhalt gefunden hatten: 1541 gelangte mit Hans Wilhelm von Laubenberg ein Mann an die Spitze der österreichischen Landvogtei, der offen mit der Reformation sympathisierte und sogar zu den Anhängern Caspar Schwenckfelds 1489-1561 gerechnet wurde. Dies wirkte sich auf die inneren Machtverhältnisse in der Reichsstadt aus: bei den Neuwahlen am 14. April 1544 kam es zum Sieg des Zunftbürgertums. Es gelang den Zünften allerdings nicht, die Patrizier ganz aus dem Rat zu verdrängen. Der führende Kopf der Protestanten in der Anfangszeit der Reformation war der Stadtschreiber Gabriel Kröttlin, der über Laubenberg auch Kontakte mit Schwenckfeld knüpfte.

In der Bürgerschaft hatte die reformatorische Bewegung mittlerweile fest Fuß fassen können. Der erste Geistliche, der, unbehelligt vom Rat, am 29. Juni 1544 offen im Sinne Luthers predigte, war Konrad Konstanzer aus Ehingen, seit März dieses Jahres Helfer an der Liebfrauenkirche. Der Rat schloss sich aus politischer Rücksichtnahme mehrheitlich nicht der neuen Lehre an, musste aber angesichts der zunehmenden Unruhe in der Bevölkerung, die hinter Konstanzer stand, ernsthaft um die Wahrung seiner obrigkeitlichen Stellung und die Erhaltung des Stadtfriedens besorgt sein.

Eben dieses Patronatsrecht wusste Abt Gerwig Blarer 1495-1567 von Weingarten, der sich mehr und mehr zum großen Gegenspieler der reformatorischen Bewegung in der Reichsstadt entwickelte, wenig später geschickt einzusetzen, um Druck auf die Ravensburger Ratsherren auszuüben. Mit kaiserlicher Hilfe gelang es ihm, sie zur Absetzung Konstanzers und zur Bestrafung Kröttlins und seiner Anhänger zu zwingen. Vorübergehend gewannen die Katholiken die Oberhoheit im Rat zurück, zumal im August 1545 auch der Landvogt Laubenberg wegen seiner proreformatorischen Haltung abgesetzt worden war.

Nun auf eine härtere Linie gegen die Anhänger der Reformation bedacht, lud der Rat am 9. Oktober 1545 die Vorstände der aus Zunftbürgern bestehenden Büchsenschützengesellschaft aufs Rathaus, da diese beschlossen hatte, auf das jährliche Schießen wegen des damit verbundenen Jahrtagsamts zu verzichten. Ohne Genehmigung des Rats hatten die Schützen, um ihrer Auffassung von der Widerstandspflicht in Glaubensfragen Nachdruck zu verleihen, "ain grouse anzal von gmainer burgerschaft"(42) auf das Rathaus zusammengerufen. Auch der Appell des Rats an ihren Gehorsamseid konnte diese und die Schützen nicht von ihrer ablehnenden Haltung abbringen. Erstmals leistete damit eine Bevölkerungsgruppe geschlossen Widerstand gegen die obrigkeitliche Kirchenpolitik des Rats. Als noch am selben Tag vier Vertreter der Gemeinde von ihm verlangten, auch die Absetzung Konstanzers zu widerrufen, gewannen auch im Rat die proreformatorischen Kräfte die Oberhand. Am 12. Oktober 1545 beschlossen Rat und Bürgerschaft gemeinsam, "das man hinfüro das Wort Gottes hie paur, lauter und rein verkünden und predigen solle, es sie durch her Conraten oder durch ainen andern predicanten, der im gleich sei".(43) Auch in Ravensburg nahm also die Gemeinde im entscheidenden Moment das Heft in die Hand und zwang den zunächst widerstrebenden Rat zu konsequenten Schritten gegen die alte Kirche.

Der Forderung der Gemeinde, ihr eine Kirche für den evangelischen Gottesdienst zur Verfügung zu stellen, kam der Rat nach, indem er ihr die Kirche des Karmelitenklosters einräumte. An den beiden Pfarrkirchen Liebfrauen und St. Jodok konnte er wegen des Patronatsrechts der Klöster Weingarten und Weißenau hingegen den katholischen Kultus nicht unterbinden. Weiterhin beschlossen Rat und Gemeinde gemeinsam, die Vorladung Konstanzers an das bischöfliche Fiskalgericht – ebenso wie dieser selbst – zu ignorieren, ihn weiter an der Liebfrauenkirche predigen zu lassen und künftig aus der Stadtkasse zu besolden. Dies bedeutete die Loslösung von der Jurisdiktion des Bischofs von Konstanz, die am 24. November durch den gemeinsamen Schwur der Bürgerschaft und des Rats(44), "unangesechen aller trowungen und abschröckungen bei dem lautern und rainen wort Gottes alhie beliben, dasselbig alhie offenlich predigen und verkünden lassen und daran setzen und wagen leib, er und gut und darob mit Gottes beistand und hilf wagen, was inen begegne", bekräftigt wurde. Damit war die Bürgerschaft "als Schwurgemeinschaft zur Reformation übergegangen".(45)

Auch für das ganz von katholischen Territorien umgebene Ravensburg war die außenpolitische Absicherung der Reformation eine vordringliche Überlebensfrage. Die Reichsstadt suchte daher sofort nach der Entscheidung für die neue Lehre den Anschluss an den Schmalkaldischen Bund, in den sie auf dem Wormser Bundestag am 22. April 1546 aufgenommen wurde.(46) Bei ihrem Eintritt wurde sie auf die Augsburgische Konfession verpflichtet und musste versprechen, "widerwertige ler", d. h. den Zwinglianismus, nicht mehr in ihren Mauern zu dulden. Die Neuordnung des Kirchenwesens war Ravensburg von außen vorgeschrieben worden und musste allein vom Rat im obrigkeitlich-lutherischen Sinne gegen die erklärte Glaubensüberzeugung der Gemeinde, die, wie in den meisten oberdeutschen Reichsstädten, auch in Ravensburg "lieber Zwinglisch dan luterisch"(47) sein wollte, durchgeführt werden.

Im Innern vollzog der Rat nun zügig die entscheidenden Schritte gegen das alte Kirchenwesen. Schon am 16. April 1546 war das Karmeliterkloster aufgehoben worden. Ab dem 24. April fand in der Klosterkirche regelmäßiger lutherischer Gottesdienst statt. Am 17. Mai erteilte der Rat den Prädikanten den Auftrag, eine Kirchenordnung auszuarbeiten. Diese ist nicht erhalten geblieben, jedoch lässt sich feststellen, dass sich der Rat ganz an Nürnberg orientierte. Eine Quelle von 1555 spricht von einer "Nürnbergisch oder Wittenbergische(n) Kirchenordnung", die von Blasius Stöcklin entworfen wurde. Damit konnte es der Rat wagen, direkt den Bestand der alten Kirche anzutasten. Am 20. Mai 1546 wurden Pfarrer und Kapläne auf das Rathaus bestellt, wo ihnen der Beitritt der Stadt zum Schmalkaldischen Bund mitgeteilt wurde. Sie wurden vor die Alternative gestellt, lutherisch zu predigen oder den alten Gottesdienst einzustellen, da der Rat die Aufgabe habe, "ain gleichmässige religion und ritum ecclesiasticum in allen kirchen alhie anzustöllen, darmit derhalb ain gleichait gehalten werde".(48) Die Geistlichen waren zwar noch nicht bereit, die Augsburgische Konfession anzunehmen, stellten jedoch den alten Gottesdienst ein. In der Liebfrauenkirche wurden der Chor geschlossen und die Lichter gelöscht, durch Konstanzer das Taufbecken ausgeschüttet und in einem vergleichsweise gemäßigten "Bildersturm" einige Altäre und Bilder entfernt. Gegen die altgläubige Minderheit in der Stadt richtete sich das am 11. Juni 1546 vom Rat erlassene Verbot, außerhalb der Stadt die Messe zu besuchen. Im katholischen Umland der Reichsstadt formierte sich freilich auch die Gegenseite, nachdem Landrichter Klöckler am 10. Juli 1546 den Befehl erhalten hatte, dafür Sorge zu tragen, dass die Reformation auf das Gebiet der hohen Gerichtsbarkeit Ravensburgs beschränkt bleibe. Auch wenn ein kaiserliches Pönalmandat vom 17. Juni(49) die Reichsstadt nie erreichte – es wurde von der kaiserlichen Seite, die von der Mitgliedschaft Ravensburgs im Schmalkaldischen Bund erfahren hatte, rechtzeitig zurückgezogen -, so hielt es den Rat doch vor weiteren Schritten gegen die noch in der Stadt verbliebenen Katholiken ab.

3.3: Neuordnung des Kirchenwesens unter Straßburger Einfluss durch Thomas Lindner

Unter den geschilderten Voraussetzungen musste der Ravensburger Rat beim inneren Aufbau des neuen Kirchenwesens Rückhalt bei den um Ausgleich bemühten Kräften des deutschen Protestantismus suchen. Zuerst hatte er sich an Nürnberg, das ihm den Prediger Blasius Stöcklin "auslieh"(50), und an Biberach gewandt(51), das Jakob Schopper zur Verfügung stellte. Stöcklin hat, wie wir gesehen haben, als Verfasser der Ravensburger Kirchenordnung eine wichtige Rolle in der Ravensburger Reformation gespielt. Als Stöcklin und Schopper in ihre Heimatstädte zurückkehrten, setzte sich der Ravensburger Rat mit Straßburg als der Zentrale des oberdeutschen Protestantismus in Verbindung. Den Wunsch, den in Lindau geborenen und durch seine Tätigkeit in Isny eigentlich für diese Aufgabe prädestinierten Johannes Marbach für den Aufbau ihres Kirchenwesens zu gewinnen, mussten Dekan und Kapitel des Straßburger Thomasstifts abschlägig bescheiden, da dieser für die Neuordnung des Schulwesens benötigt würde.(52) Sie waren jedoch bereit, den dortigen Pfarrer Johann Lenglin für ein halbes Jahr nach Ravensburg ziehen zu lassen und außerdem den derzeit in der kleinen badischen Reichsstadt Gengenbach tätigen Thomas Lindner (Tilianus) zu vermitteln.(53) Indem Ravensburg auf das Angebot einging(54), erlangte Straßburg den bestimmenden Einfluss auf die Phase der Konsolidierung und Institutionalisierung des evangelischen Kirchenwesens in der Reichsstadt.

Mit Lindner fand auch in Ravensburg, das bis dahin im Bannkreis der oberdeutsch-zwinglianischen Reformation gestanden war, "im Gefolge der vermittelnden Straßburger Theologie ein gemäßigtes Luthertum Eingang".(55) Über sein Leben sind uns lediglich einzelne Facetten überliefert.(56) Er stammte aus dem kleinen niederschlesischen Dorf Boguslawitz. 1538 ist er als Pädagoge in Tübingen belegt. Dort veröffentlichte er im selben Jahr sein katechetisch-systematisches Werk "Capita Christianismi, sive Catechismus fidei", zu dem Johannes Brenz 1499-1570 eine ausführliche Vorrede verfasste. Man wird Lindner also auch zu den Schülern von Brenz rechnen können. Der Zeitpunkt seiner Übersiedlung nach Gengenbach lässt sich nicht genau bestimmen, jedoch muss er dort schon längere Zeit vor 1545, als sein Gengenbacher Katechismus im Druck erschien, gelebt und gewirkt haben. In dieses von hoher theologischer Bildung und pädagogischer Befähigung zeugende Werk hat Lindner in gleicher Weise Anregungen aus Brenz‘ Katechismen und von Luthers Kleinem Katechismus aufgenommen und weiter entwickelt. Seinerseits ist der Gengenbacher Katechismus zum maßgeblichen Vorbild des 1547 und 1559 in der zu Württemberg gehörigen Grafschaft Horburg-Reichenweier gedruckten und gebrauchten Katechismus geworden.(57) Am 20. August 1546 willigte der Gengenbacher Rat schweren Herzens ein(58), Lindner nach Ravensburg ziehen zu lassen. Mit einem Gutachten vom 25. August empfahlen ihn die drei Straßburger Theologen Bucer, Caspar Hedio 1494-1552 und Johannes Marbach nachdrücklich für seine neue Aufgabe.(59)

Auf dem Höhepunkt des Einflusses des Schmalkaldischen Bundes hatte der Rat am 5. September 1546 alle elf in der Stadt verbliebenen katholischen Geistlichen erneut auf das Rathaus bestellt und einzeln verhört.(60) Alle von ihnen, die nicht zur Annahme der Confessio Augustana bereit waren, wurden aus der Stadt verwiesen. Jetzt scheute der Rat auch vor dem Zugriff auf das Kirchengut nicht mehr zurück, indem er die Pfründen der nicht residierenden Kapläne einzog. Als er darüber hinaus versuchte, die Pfründen der zum Spital gehörigen Dörfer Wolpertswende und Eggartskirch zu vereinnahmen, beschlagnahmte der Landrichter Klöckler die im Hochgerichtsbezirk der Landvogtei liegenden Pfründgüter der Ravensburger Kaplaneien zu Gunsten der aus der Stadt vertriebenen katholischen Geistlichen. Damit wurde die wirtschaftliche Basis des neuen Kirchenwesens von Anfang an empfindlich geschwächt.

Der Straßburger Linie des Ausgleichs zwischen den verschiedenen Richtungen des Protestantismus ist es wohl zuzuschreiben, dass Ravensburg – nach der lutherisch geprägten Kirchenordnung – am 17. Oktober 1546 eine Zuchtordnung erhielt,(61) in der der zwinglianisch-oberdeutsche Einfluss eindeutig dominierte. Durch sie wurde die Bürgerschaft zu einer rigorosen gegenseitigen Sittenzucht gezwungen, über deren Einhaltung ein neu geschaffenes Gremium von fünf Zuchtherren wachte. Über Ehestreitigkeiten sollte anstelle des geistlichen Gerichts in Konstanz ein neu eingerichtetes städtisches Ehegericht urteilen. Mit der Zuchtordnung wurde auch eine Almosen-(62) und Schulordnung(63) erlassen. Damit wurden – in konsequenter Weiterführung und Vollendung spätmittelalterlicher städtischer Kirchenpolitik - die Stiftungs-, Jahrtags- und Bruderschaftsvermögen künftig für die Armenfürsorge verwandt und in einem "Kasten" vereinigt, außerdem je eine deutsche Knaben- und Mädchenschule und eine Lateinschule eingerichtet. Als Aufsichtsgremien wurden vier Almosenpfleger und vier Scholarchen vom Rat eingesetzt.

Am 3. Dezember 1546 übergaben Lindner und Lenglin dem Rat eine von ihnen und Konstanzer unterzeichnete Denkschrift mit Ergänzungsvorschlägen zur Kirchen- und Zuchtordnung(64), neben der Zuchtordnung das einzige erhaltene ‚Verfassungsdokument‘ aus der Frühzeit der Ravensburger Reformation. Mit der Beseitigung der Ausnahmestellung des Klerus innerhalb der Bürgerschaft hatten die Bestrebungen des Rats, die Kirche in die Stadtgemeinde zu integrieren, ihren Höhepunkt gefunden. Lindner erhielt als Prediger an der Liebfrauenkirche einen Freisitz, d. h. er musste keine Steuern zahlen und durfte kostenfrei in einem städtischen Haus wohnen. Auch in Ravensburg verfasste Lindner einen Katechismus, der bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch war und sich in einer Ausgabe von 1733 erhalten hat.(65)

Auf Grund der Anfangserfolge der Schmalkaldener wurde sogar das von ihnen eroberte Kloster Weingarten der protestantischen Kirche von Ravensburg unterstellt. Doch die Wende im Krieg zugunsten der Kaiserlichen bereitete dem scheinbar unaufhaltsamen Vordringen der evangelischen Lehre in der Reichsstadt ein jähes Ende. Am 6. Januar 1547 mussten Rat und Gemeinde sich dem Kaiser wieder unterwerfen, der die Übergabe am 16. Januar annahm. Nach der Rückkehr Lenglins nach Straßburg im Mai 1547 waren nur noch Lindner, Konstanzer und die evangelisch gewordenen Kapläne in der Stadt. In der Bevölkerung gewann die latente zwinglianische Grundströmung wieder an Boden.

Bei der Aussöhnung mit König Ferdinand I. am 5. Oktober 1547 musste die Stadtobrigkeit den katholischen Bürgern den Besuch der Messe außerhalb der Stadt zugestehen, was die formelle Anerkennung der katholischen Minderheit bedeutete. Damit war auch in Ravensburg das Fundament für den Neuaufbau der katholischen Kirche und damit die Bikonfessionalität gelegt worden. Diese mündete wie in Biberach schließlich in die numerische Parität von 1648 ein.

3.4: Bikonfessionalität infolge des Umbruchs der Jahre 1548-1555

Die volle Härte der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg traf Ravensburg am 28. Februar 1548, als ein kaiserliches Mandat(66) der Stadt befahl, innerhalb von sechs Tagen die Pfarrkirchen Liebfrauen und St. Jodok den Katholiken mit allen Rechten und Besitzungen zurückzugeben. Die Evangelischen konnten ihre Gottesdienste nur mehr in der ehemaligen Klosterkirche der Karmeliten abhalten, ansonsten konnte der Rat ihr Kirchenwesen in kleinerem Rahmen erhalten. Im Mai 1548 musste er allerdings den Bahnbrecher der Reformation in der Reichsstadt, Konrad Konstanzer, entlassen, der nach St. Gallen ging. Für Caspar Heldelin, der Ravensburg wieder in Richtung Lindau verließ, fand man in Lorenz Montanus aus Gengenbach Ersatz.

Das Augsburger Interim bedrohte in Ravensburg weit mehr als in anderen Reichsstädten die Existenz der evangelischen Gemeinde, da es hier auf ein junges und noch sehr ungefestigtes Kirchenwesen traf, das bisher kaum prägende Kraft auf das städtische Leben ausüben konnte. Die Stadt erhielt im Juni 1548 den Befehl, trotz der Rückgabe der beiden Hauptkirchen das Interim einzuführen, falls es noch eine Kirche in ihren Mauern gebe. Damit verloren die Protestanten auch das Karmeliterkloster für ihren Gottesdienst. Schon am 14. Juli 1548 erklärte der Rat die Annahme des Interims. Da die evangelischen Geistlichen hierzu nicht bereit waren, mussten sie entlassen werden. Damit ging Ravensburg auch Thomas Lindner verloren, der der Stadt nicht nur ein guter Prediger und Seelsorger gewesen war, sondern dem sie auch ihren evangelischen Katechismus verdankte und der die Neuordnung des Kirchenwesens in der Reichsstadt maßgeblich beeinflusst hatte. Lindner floh in die Schweiz.(67) Aus dem - einzigen von ihm erhaltenen eigenhändigen - Brief, den er am 30. November 1548 aus St. Gallen an den Ravensburger Rat richtete(68), spricht die große Notlage, in die er im Exil geraten war. In der Schweiz sah man die vermittelnd eingestellten, aus dem schwäbisch-württembergischen Raum geflohenen Theologen als "Lutheraner" an und gab ihnen keine Anstellung. Über Lindners weiteres Schicksal schweigen die Quellen; möglicherweise ist er schon wenig später gestorben.(69)

Wie Gerwig Blarer am 16. Oktober 1548 berichtete, hatte Ravensburg als einzige oberschwäbische Reichsstadt alle Prädikanten entlassen. Bis ins folgende Jahr gelang es ihr jedoch offenbar nicht, einen Interimspriester zu gewinnen. Nach dem Vorbild Württembergs, in dessen Städten seit Dezember 1548 evangelische Prädikanten als Katechisten neben den Interimspriestern angestellt wurden, berief man auch in Ravensburg, wohl Anfang 1549 drei ehemalige katholische Kapläne als sogenannte "Letzgenleser", die in der Klosterkirche das Evangelium verlesen und auslegen, aber keine weiteren Gottesdiensthandlungen vornehmen durften. Die Rückgabe des Klosters an den Karmelitenorden im Mai 1549 bedeutete das Ende des Interims in Ravensburg, denn die Mönche führten sogleich wieder den katholischen Gottesdienst ein. Die Protestanten konnten jedoch durchsetzen, dass sie wenigstens in einem Teil der Kirche bleiben durften. Ihnen wurde das Langhaus, den Mönchen der Chor zugesprochen. Das hierdurch begründete Simultaneum erwies sich, wiewohl durchaus konfliktträchtig, als dauerhaft. 1554 wurde die Teilung der Kirche schließlich durch einen Vertrag festgeschrieben.(70) Mit der Aufteilung war das Fundament für die Bikonfessionalität auch in Ravensburg gelegt worden. Bis zum Dreißigjährigen Krieg blieb der Besitzstand der Konfessionen stabil.

3.5: Zusammenfassung

So unterschiedlich der Verlauf der Reformationsgeschichte in Biberach, Isny und Ravensburg im Einzelnen auch war, allen drei Reichsstädten war die Zugehörigkeit zum "oberdeutschen", stark vom Zwinglianismus beeinflussten Typus der Reformation gemeinsam. Sie vollzog sich in ihnen nach gleichem Grundmuster: Zuerst fand reformatorisches Gedankengut Eingang in die humanistisch gebildeten Teile des gehobenen Bürgertums der Städte. Vielfach von den gleichfalls vom Humanismus geprägten Prädikanten zuerst verbreitet, wurde die Reformation aber rasch zu einer vor allem von breiten Schichten des Zunftbürgertums getragenen Volksbewegung. Indem die reformatorisch eingestellten Zünfte im entscheidenden Moment das Heft in die Hand nahmen, konnte die Reformation gegen Widerstände im Innern wie von außen durchgesetzt werden. Kennzeichen einer oberdeutsch-schweizerisch geprägten Reformation waren ein in allen drei Städten - wenn auch in unterschiedlicher Intensität und unter "obrigkeitlicher" Kontrolle - vollzogener Bildersturm und plebiszitäre Elemente, die vor allem in Biberach zum Tragen kamen. Die außenpolitische Absicherung des Reformationswerks durch den Eintritt in den Schmalkaldischen Bund erforderte jedoch ein Zugehen auf das Luthertum: Damit gewann, zumal dem Tod Zwinglis 1531 - anstelle des Schweizertums die zwischen der lutherischen und zwinglianischen Richtung vermittelnde Theologie Straßburgs das entscheidende Gewicht. Bei der Neuordnung des Kirchenwesens traten demzufolge die – für die schweizerische Reformation kennzeichnenden - gemeindlichen Elemente mehr und mehr zugunsten einer obrigkeitlichen Kontrolle durch den Rat zurück. Die gefährdete Stellung der reformatorischen Bewegung in einem weitgehend am alten Glauben festhaltenden Umland zeigte sich darin, dass es in keiner der drei Städte gelang, die katholische Minderheit ganz aus der Stadt zu verdrängen. Als Ergebnis der schnellen Abfolge von evangelischer Niederlage im Schmalkaldischen Krieg, dem – weitgehend gescheiterten - Versuch der Oktroyierung einer Zwischenreligion im Interim, der kaiserlichen Regimentsänderung im patrizisch-oligarchischen Sinne und schließlich dem vorübergehenden Wiedererstarken des Protestantismus im "Fürstenkrieg" standen in Biberach und Ravensburg die Bikonfessionalität, das Zusammenleben von Katholiken und Lutheranern in einer Stadt, in Isny das Nebeneinander von rein evangelischer Reichsstadt und katholischem Kloster innerhalb der Stadtmauern.

Am Beispiel von Biberach, Isny und Ravensburg kann aber auch aufgezeigt werden, wie drei Geistliche auf jeweils unterschiedliche Weise Einfluss auf das reformatorische Geschehen in einer Reichsstadt genommen haben. Verkörpern Müller und Frick den Typus des humanistisch gebildeten, schon früh für die neue Lehre gewonnenen Prädikanten, die durch die Macht ihres Wortes den Wandel in der religiös-konfessionellen Einstellung der breiten Stadtbevölkerung bewirkten und gleichzeitig den entscheidenden Druck auf die zögernde Stadtobrigkeit ausübten, so manifestiert sich in der Person Lindners mehr der Einfluss Straßburgs und Württembergs auf die Phase der Konsolidierung des neuen Kirchenwesens in den oberdeutschen Reichsstädten – die gerade in dem ganz von altgläubig-habsburgischen Territorien umgebenen Ravensburg von entscheidender Wichtigkeit war.

Aktualisiert am: 19.03.2018