Basler Mission

Von: Rennstich, Karl

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Die Anfänge der Basler Mission
  2. 2: Spittler und Blumhardt – ein starkes Team
  3. Von der Missionsschule zur Missionsgesellschaft
  4. 3: Mission als Wiedergutmachung und Verkündigung des Friedens
  5. Anhang

1: Die Anfänge der Basler Mission

Ansicht von Basel

Hermann Spiess-Schaad: David Herrliberger. Zürcher Kupferstecher und Verleger 1697–1777. Verlag Hans Rohr: Zürich 1983. Wikimedia Commons

Die Basler Mission ist vor 200 Jahren im Umfeld des süddeutschen Pietismus und der Erweckungsbewegung entstanden. Sie ging hervor aus der ebenfalls in Basel ansässigen Christentumsgesellschaft.
1780 hatte der Augsburger Prediger Johann August Urlsperger (1685–1772) einen Kreis von Theologen und Laien verschiedener Konfession und Nationalität um sich versammelt. Das gemeinsame Ziel war, den „herrschenden Unglauben“ zu bekämpfen und die „Wahrheit der Heiligen Schrift zu verteidigen“. Deshalb gründeten sie die Deutsche Gesellschaft zu Beförderung der reinen Lehre und wahrer Gottseligkeit, die später als Christentumsgesellschaft bekannt wurde. Basel wurde wegen seiner günstigen geografischen Lage zum Sitz der Gesellschaft gewählt, und die Stadt war das Zentrum eines zwischen höherer Bildung und Tatchristentum stehenden Pietismus. In religiösen Kreisen galt sie als Ort der Freiheit. Die Gesellschaft nahm rasch an Mitgliedern zu und eröffnete an verschiedenen Orten der Welt kleinere Zweigstellen. Unter dem Einfluss ihres ersten Sekretärs Karl Friedrich Steinkopf (1773-1859) fanden unter den herkömmlichen Erbauungsthemen zunehmend Probleme der weiten Welt Eingang in die Korrespondenz und Berichte. In ihrer Zeitschrift Sammlungen für Liebhaber Christlicher Wahrheit und Gottseligkeit wurden Missionsnachrichten aus allen Erdteilen publiziert, die Steinkopf aus England vermittelte. So kam man zu der Überzeugung, selbst die Missionsarbeit unterstützen zu müssen und gründete 1815 als Tochtergesellschaft eine evangelische Missionsanstalt in Basel. 

Einer der wesentlichen Impulsgeber für die Gründung der Basler Mission war Christian Friedrich Spittler (1782–1867). Der aus Württemberg stammende, frühere Stadtschreiber von Schorndorf, war Steinkopfs Nachfolger als Sekretär bei der Christentumsgesellschaft.

Spittlers Lebensmotto war "Was hilft‘s, wenn wir beim warmen Ofen und einer Pfeife Tabak, die Notstände der Zeit bejammern. Hand anlegen müssen wir, und sei es auch ganz im Kleinen!" Er gründete zahlreiche Werke, die in ihrer Breitenwirksamkeit imponieren. 1804 die Basler Bibelgesellschaft, 1815 die Basler Missionsanstalt, 1820 regte er die Gründung der Kinderrettungs- und Lehrerbildungsanstalt in Beuggen an. Aus ihr folgte 1933 die damals so genannte Taubstummenanstalt in Beuggen und später in Riehen, 1840 die Pilgermission St. Chrischona, 1946 das Kinderspital in Basel und 1852 das Diakonissenhaus in Riehen.

Spittler war ein Organisationstalent und Meister im Sammeln von Spenden für diese großen Werke. Zehn Jahre lang verfolgte er seinen Plan einer eigenen Missionsschule für Basel und verwirklichte ihn, allen Widerständen zum Trotz, noch vor Ende der Napoleonischen Kriege.

Spittler hatte ein Schreiben an die führenden Mitglieder der Christentumsgesellschaft gesandt und darin um ihre Meinung gebeten zu einer künftigen "Pilgermission unter den Heiden". Damit wollte er ausdrücken, dass dieses Werk in Demut und Niedrigkeit begonnen und betrieben werden sollte. Als Vorbild galt die Knechtsgestalt Christi. Den gefürchteten Basler Staatsrat, Peter Ochs, gewann Spittler in einer kaum viertelstündigen Unterredung für seine Idee, weil er so mutig und überzeugend auftrat. Die Stadt Basel gab die Zusage zur Gründung einer Missionsanstalt. Die Gaben flossen unerwartet reichlich.

Noch aber fehlte der Leiter. Der lange zögernde Freund, Christian Gottlieb Blumhardt (1779–1838), wurde schließlich doch Inspektor der neuen Anstalt.

2: Spittler und Blumhardt – ein starkes Team

Die Basler Mission prägten in den Anfangsjahren Christian Gottlieb Blumhardt und Christian Friedrich Spittler. Die beiden verkörperten zwei verschiedene Glaubensarten. „Unser Präsident soll Jesus Christus sein“, meinte der Enthusiast Spittler. Der nüchterne Christian Gottlieb Blumhardt dagegen forderte „die feste und bestimmte Ordnung, die organische Entwicklung, welcher auch der Glaube in seinen Unternehmungen nicht entbehren kann“. Sie einigten sich darauf, dass „am Ende alles recht werde, wenn wir nur den Hauptzweck nicht aus dem Auge verlieren.“ 

Spittler hat den eingeengten Gesichtskreis der Christen im deutschsprachigen Raum geöffnet für den missionarischen Auftrag in der Welt. Er zeigte, wie viel durch "freie Werke“ bewegt werden kann. Er gehörte zu jener Gruppe südwestdeutscher Pietisten, die aus den Ereignissen der Französischen Revolution von 1789 die Konsequenzen gezogen hatten und sich auch mit den politischen Ereignissen im Lichte des Reiches Gottes beschäftigten. Sie wollten die „Zeichen der Zeit“ verstehen. Spittlers Leben ist ein Dokument der Einmischung in die Welt, der Verbreitung einer christlichen Gesinnung unter denen, die diese nicht kannten oder vergessen hatten. Sein Einblick in die Politik zeigte ihm das große Ausmaß der Notund die große Aufgabe, die die Christen hier zu erfüllen hatten. Zu seinem Bekanntenkreis gehörten reiche und an­gesehene Handelsherren der Stadt Basel, hochgelehrte Professoren, aber auch einfa­che Menschen aus dem Volk. Ebenso hatte er enge Verbindung zu frommen Frauen und Männern aus der katholischen Kirche, wie Johannes Goßner, Martin Boos und Johann M. Sailer, dem späteren katholischen Bischof von Regensburg. Spittler nannte sich selbst gern „Handlanger Gottes“. Er hätte zweifellos ein reicher Mann werden können, denn er setzte Millionen in seinen Gründungen um. Alles aber, was er hatte, gab er für die Ausbreitung des Reiches Gottes. 

Blumhardt war einer der tiefsinnigsten Theologen seiner Zeit, der jedoch immer bescheiden blieb und demütig ganz in der Stille wirkte.

Er war Sohn eines Schumachers. Er konnte, als letzter Handwerkersohn, dank einer Verordnung des Königs, das Tübinger Stift besuchen und Theologie studieren. Während der napoleonischen Kriege war Blumhardt Pfarrer in Württemberg und wirkte als Seelsorger in Bürg. Hier schon richtete sich sein Blick in die Weite der Welt. Der junge Pfarrer nahm nach reiflicher Überlegung den Ruf als Inspektor der neuen Missionsanstalt an und reiste im April 1816 nach Basel. Er brachte das erste Heft des Magazins für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften druckfertig mit und blieb zeitlebens Herausgeber (und schrieb die meisten Artikel). Als Inspektor der Missionsanstalt wirkte er 22 Jahre lang, bis zu seinen Tod 1838.

Von der Missionsschule zur Missionsgesellschaft

Missionshaus in Basel, erbaut 1860

Archiv der Basler Mission, QS-30.018.0008

In der Rittergasse in Basel konnte ein geeignetes Haus käuflich erworben werden. Dort wurde am 26. August 1816 die Missionsanstalt feierlich eröffnet. Der Präsident des Missionskomitees, Pfarrer von Brunn, stellte die Anstalt unter das Wort Sacharja 4, 6: "Es soll nicht durch Heer oder Kraft geschehen, sondern durch meinen Geist".

Die Missionarsausbildung in Basel war wohl durchdacht. Zunächst fungierte Blumhardt als Direktor, Lehrer und Sekretär in einer Person. Gemeinsam mit Spittler erarbeitete er die Lehrpläne für die einzelnen Klassen und entwarf die Hausordnung für das Internat. Dafür gab es kaum Vorbilder. Das einzige deutsche Missionsinstitut, von Pastor Jähnicke in Berlin, war völlig anders aufgebaut. Nach vollendeter Ausbildung sollten die Absolventen in den Dienst der damals schon existie­renden englischen und holländischen Missionsgesellschaften treten. 

Der erste „Missionszögling“ war Wilhelm Jakob Dürr (1790–1862) aus Neckarwestheim. Er kam mit Blumhardt als Begleiter des Umzugswagens aus Deutschland zu Fuß von Bürg bis Basel. Sein Leben ist paradigmatisch für die ersten Missionsschüler. Am 9. Juli 1816 trat er in die Basler Mission ein und wurde am 16. Dezember 1818 in Lörrach ordiniert. Zwei Tage später wurde er ausgesandt in den Dienst der Church Missionary Society (CMS), in England. Aus dem englischen Missionsregister der CMS in London, geht hervor, dass “Dürr, William James im Alter von 28 Jahren, aus 'Kaltenwesten' in Württemberg, nach kurzer Ausbildung in Basel, 1819 noch weitere fünf Monate in England studierte, und er am 17. April 1819 nach Indien, Bardwan, und 1825 nach Kulnar ausgesandt wurde“. Später arbeitete er in Krischnagar, wo durch seine Arbeit eine große Missionsbewegung entstand. Im Dezember 1842 kehrte Dürr nach 24 jähriger Missionsarbeit in Indien nach England zurück. Er starb am 26. März 1862 in Marbach in der Nähe von Stuttgart.

Niemand konnte damals ahnen, dass aus diesen kleinen Anfängen ein so großes Werk, wie die Basler Mission, erwachsen würde.

1821 beschloss die Jahreskonferenz beim Jahresfest, dass die Basler Mission eine eigene Missionsarbeit beginnen sollte. Damit war ein neues Ziel gesetzt, und die Basler Mission wurde „zum zweiten Malgegründet“. Aus der Missionsschule entstand eine Missionsgesellschaft.

3: Mission als Wiedergutmachung und Verkündigung des Friedens

Gedenkblatt der Basler Mission

Landeskirchliches Archiv Stuttgart

Die Missionare des frühen 19. Jahrhunderts stammten fast alle aus Bauern- oder Handwerkerfamilien. Sie kamen aus pietistischen Kreisen und waren entschlossen, ihre vom Glauben motivierte Nächstenliebe in die Tat umzusetzen.

Der Kampf gegen Sklaverei und für bessere Bedingungen in englischen Gefängnissen gehörte genauso zum Aktionsprogramm der Pietisten, das Evangelium zu verkünden und Güter gerechter zu verteilen. Die Evangelicals, wie man sie in England nannte, waren progressiv, sowohl theologisch als auch politisch. Sie wollten hier und da etwas „zur Erleichterung des zahllosen menschlichen Elends, das um Hilfe und Erbarmung schreit, beitragen und der Gebundenen als Mitgebundene eingedenk sein“ (1).

Mit ihrer Auffassung einer von Gott gewollten gerechteren Welt, störten die Missionare immer wieder die international agierenden großen Handelsgesellschaften. Um ihre ausbeuterischen Geschäfte ungehindert betreiben zu können, duldete die Ostindische Handelsgesellschaft lange Zeit keine Missionare in Indien. 

Im Berufungsschreiben an Blumhardt hatte das Komitee definiert, man möge Missionare ausbilden „als Verbreiter einer wohltätigen Zivilisation und Verkündiger des Evangeliums des Friedens nach verschiedenen Gegenden der heidnischen Welt"(2).

Die Bedeutung ihres Auftrags erläuterte Christian Gottlieb Blumhardt den ersten nach Afrika ausreisenden Missionaren in seiner Dienst-Anweisung 1827: „Ihr sollt an der Thüre Afrikas anklopfen und aus der Entwicklung der Umstände von dem Herrn eine Antwort auf die Frage erbitten, ob Missionare überhaupt erwünscht sind“ (3). Die Verbreitung einer wohltätigen Zivilisation bedeutete nach Blumhardt, auch eine „Wiedergutmachung begangenen Unrechts in Afrika“. Deshalb seien Missionare„diesen mißhandelten Geschöpfen eine unerschöpfliche Geduld und ein Übermaß von wohlthuender Liebe schuldig, wenn auch nur einigermaßen die tausend blutenden Wunden geheilt werden sollen, welche ihrem Volke seit Jahrhunderten die schmutzigste Habsucht und die grausamste Arglist der Europäer geschlagen hat“ (4)

Blumhardts enger Freund Albert Ostertag (1810-1871)  erkannte den Zusammenhang von Industrie und „Krieg gegen die Armen“ schon 1862- Er berichtete über die weltpolitische Bedeutung der Taiping-Revolution in China (1851–1964) in seinem Werk über die „Entstehungsgeschichte der evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel“ (1865). Im Sinne Blumhardts schrieb er in Bezug auf den ersten großen Weltwirtschaftskonzern, die Ostindische Handelsgesellschaft: „Die moderne Industrie hat ohne Zweifel der Menschheit große und wichtige Dienste geleistet (...). Aber daneben ist sie die grausame, rücksichtslose, tyrannische Macht, welche den Versuch scheint machen zu wollen, wie weit man unter der trügerischen Form allgemeiner Wohlthat die natürlichen Menschenrechte der Individuen und der Völker mit Füßen zu treten vermöge zugunsten des großen Kapitals (...). Die Fabriken setzen unzählige Hände in Bewegung und gewähren Zehntausenden das tägliche Brod; aber sie würdigen diese Tausende selbst zu Maschinen herab (...). Die verschlossenen Pforten der Völkerwelt werden aufgestoßen, die Menschheit wird sich näher gebracht, ein Austausch der Ideen und der geistigen Güter unseres Geschlechts wird ermöglicht (...). Allein diese Industrie entzündet mit schonungsloser Hand blutige ungerechte Kriege, um die Völker zur Abnahme der Fabrikate zu zwingen. Sie scheut sich nicht, ein großes Volk sittlich und leiblich durch Opium zu Grunde zu richten, um den bedenklichen Silberabfluß rückwärts in die eigenen Kassen zu lenken, und bricht Treue und Redlichkeit, verletzt die einfachsten Grundsätze des Völkerrechts und stellt einem nach Licht und Freiheit ringenden Volke gewaltthätige Hemmungen in den Weg, wo das eigene materielle Interesse es zu erheischen scheint (...). Sie verbreitet europäischen Gewerbefleiß, europäische Energie, Kunst und Betriebsamkeit. Aber sie beraubt mit unerhörter Gewaltthat die Ureinwohner des Landes ihres väterlichen Grundbesitzes, drängt sie Schritt für Schritt von dem geheiligten Erbe ihrer Väter hinweg, entzündet den Rassenkampf und sieht mit kaltem Gleichmuth dem raschen Verschwinden ganzer Nationen aus der Mitte der großen Völkerfamilie zu (...). Sie macht den Eingeborenen zum Heloten (...), tritt sein Menschenrecht mit Füßen und weiß nichts von Pflichten, die er ihm schuldig wäre.“ (5)

Was mit der Ostindischen Handelsgesellschaft, dem ersten transnationalen Konzern der modernen Geschichte begann und Ostertag im Jahre 1861 so leidenschaftlich anprangerte, setzt sich bis zum heutigen Tag fort. Korruption als Haupthindernis wirtschaftlicher Entwicklung erkannten schon die Missionare in Indien um die Mitte des 19. Jahrhunderts. 

Die Basler Mission war die erste Missionsgesellschaft, die eine organische Verbindung von der Verkündigung des Evangeliums und wirtschaftlich organisierter Entwicklungshilfe, aber auch Weltmission und Evangelisation als Einheit verstand. Es heißt, Spittler habe einmal gesagt: "Wenn wir dafür sorgen, dass Heiden Christen werden, so dürfen wir nicht versäumen, auch darauf bedacht zu sein, dass Christen keine Heiden werden". Eng verbunden mit der Ausbreitung des Evangeliums in die weite Welt war die Evangelisation in Europa. Sie bedeutete für Spittler die Wiedergewinnung derer, die sich von der Kirche entfernt hatten.

Die Erfahrungen in Übersee strahlten in die Heimat zurück. So wurde der Württemberger Elias Schrenk (1831–1913) zum Bahnbrecher der Evangelisation in Deutschland und der Schweiz. Als gelernter Kaufmann und Absolvent des Basler Missionsseminars wurde er 1859 zunächst gegen seinen Willen als Missionskaufmann und Generalkassierer der Basler Mission an die Goldküste nach Westafrika gesandt. Als er krank nach Europa zurückkehrte, war er durch seine Erfahrungen in Afrika bestens für die evangelistische und seelsorgerliche Arbeit unter Arbeitern gerüstet. Schrenk prägte die Evangelische Allianz in Deutschland, die Gnadauer Gemeinschaftsbewegung, sowie die Evangelisationsarbeit in Deutschland und der Schweiz.

Die 1815 gegründete, Nationen und Denominationen übergreifende, Basler Mission endete 1939 mit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Sie besteht seither aus einem Schweizer und einem Deutschen Zweig.

Der vorliegende Text stammt aus dem Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung: Andrea Kittel (Hg.), Unterwegs zu den Anderen. 200 Jahre Basler Mission und Württemberg, Stuttgart 2015, S. 102-105.

 

Aktualisiert am: 17.11.2022