Scheurlen, Paul

Von: Kienzle, Claudius

Inhaltsverzeichnis
  1. Paul Scheurlen (1877-1947)
  2. 1: Familienverhältnisse
  3. 2: Biographische Würdigung
  4. Anhang

Paul Scheurlen (1877-1947)

1: Familienverhältnisse

V Heinrich S. (1842-1921), Landgerichtskopist in Tübingen). M Friedericke, geb. Weber (1844-1920). G 8 (4 starben im Kleinkindalter. Namen der anderen: Christian Paul, Friedericke, Rosa Henriette Walpurga, Thekla Johanna Mina) °° Barbara Margarethe, geb. Gierich (1893-1983) K Eine Tochter, ein Sohn.

2: Biographische Würdigung

Der am 25.09.1877 in Königsbronn (OA Heidenheim) geborene S. besuchte in Tübingen die Elementarschule sowie die unteren und mittleren Gymnasialklassen, bevor er nach bestandenem Landexamen 1891 ins Seminar Maulbronn eintrat, wo er sich mit Hermann Hesse befreundete. Im Seminar Blaubeuren legte er 1895 die Konkursprüfung ab, die ihm im selben Jahr die Aufnahme des Theologiestudiums in Tübingen ermöglichte. Dort studierte er zunächst von seinem pietistischen Elternhaus im Heimatort Lustnau aus. Wenig später erhielt er einen Stipendienplatz im Evangelischen Stift. S. hörte vor allem beim Alttestamentler und Orientalisten Julius Grill (1840-1930), einem Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule, sowie bei dem Praktologen Johannes Gottschick (1847-1907) und dem Systematiker Theodor Haering (1848-1928), beide Ritschlianer.

Nach seiner Ordination in der Tübinger Stiftskirche durch Dekan Karl August Elsässer, entschloss sich S. zunächst vom Eintritt in den Pfarrdienst abzusehen und eine Hauslehrerstelle in Tempelberg bei Berlin anzunehmen. Die Arbeit an einer philosophischen Dissertation bei Erich Schmidt brach er ein Jahr später ab und ging nach Genua, wo er die Söhne des deutschen Generalkonsuls unterrichtete. Dort vertrat er gelegentlich den Gesandtschaftsprediger, dessen Nachfolger er zunächst werden sollte. Nach einem Todesfall in der Familie und aus gesundheitlichen Gründen kehrte er jedoch 1902 nach Württemberg zurück, wo er Vikar in Tailfingen (Dekanat Balingen) wurde.

Erst 1907 bekam er die dortige zweite Pfarrstelle übertragen. Bereits während seiner Vikarzeit publizierte S. im Bereich der Jugendliteratur. In den Folgejahren verfasste er für die Evangelische Gesellschaft Stuttgart Flugblätter über die in Württemberg verbreiteten religiösen Gemeinschaften und Bewegungen, die er 1912 in einem in der zeitgenössischen Terminologie so benannten „Sektenbüchlein“ zusammenfasste. Weitere Publikationen zu heimatkundlichen, religiösen und pädagogischen Themen folgten. Vergleichsweise früh gab er ein örtliches Evangelisches Gemeindeblatt heraus. Als Vorsitzender des Evangelischen Arbeitervereins war er zudem um die Abgrenzung zur Sozialdemokratie und die gleichzeitige Integration von Fabrikarbeitern bemüht.

S. heiratete 1915 Margarethe Gierich, mit der er zwei Kinder hatte. Nach etlichen vergeblichen Bewerbungen um besser dotierte und prominentere Stelle erhielt er 1918 zunächst die geschäftsführende Pfarrstelle in Tailfingen und wurde 1922 zum Dekan von Biberach ernannt. Dort setzte er mit der Herausgabe des Evangelischen Diasporaboten seine publizistische Tätigkeit fort. Er nahm 1925 als Korrespondent für kirchliche Presseorgane an internationalen und interkonfessionellen Kirchenkonferenzen in Skandinavien teil.

In den Auseinandersetzungen zwischen der württembergischen Kirchenleitung um Landesbischof Theophil Wurm und der Reichskirche im Herbst 1934 stellte sich S. zunächst positiv zu den reichskirchlichen Einigungsversuchen und distanzierte sich von Wurms Widerständigkeit. Nicht zuletzt um in dem katholischen Umfeld seines Diasporabezirks den Eindruck innerprotestantischer Uneinigkeit zu vermeiden, akzeptierte der weltanschaulich konservative Theologe als einer der wenigen württembergischen Dekane die deutschchristliche kommissarische Landeskirchenregierung. 

Nach der Behauptung der organisatorischen Selbständigkeit der württembergischen Landeskirche solidarisierte sich S. auf Druck der Kirchenleitung mit Wurm und verfolgte eine Strategie der „Befriedung“. Mit diesem Begriff umschrieb S. die Praxis, Veranstaltungen der aktiven Biberacher Gruppe der „Deutschen Christen“ in kirchlichen Räumen zu verbieten und gleichzeitig bekenntniskirchliche Kundgebungen zu dulden, ohne sich selbst kirchenpolitisch zu exponieren. Diese Haltung brachte ihn mehrfach in Konflikt mit nationalsozialistischen Stellen. Im September 1934 und Juni 1938 erbrachte S. die geforderten Eidesleistungen auf Adolf Hitler. In den 1930er Jahren veröffentliche er volkstümliche Lebensbilder von deutschen Protestanten, die seiner Ansicht nach Vorbildcharakter haben sollten.

Obwohl seine Gesundheit während der Kriegszeit zunehmend abnahm, konnte er im Januar 1947 sein 25jähriges Dienstjubiläum als Dekan feiern und trat im selben Jahr 70jährig nur zögerlich in den Ruhestand. S. verunglückte wenige Monate später am 13. Dezember 1947 auf einer Autofahrt, die er für das Evangelische Hilfswerk unternahm, tödlich.

Erstabdruck in: Württembergische Biographien unter Einbeziehung Hohenzollerischer Persönlichkeiten. Band II. Im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg herausgegeben von Maria Magdalena Rückert, W. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2011. Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung.

Aktualisiert am: 06.03.2024